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Wo Hochkultur auf Hobbykunst trifft:
der Sehlder-Kultur-Sonntag

Bald tobt wieder der Bär im beschaulichen 900-Seelen-Dorf Sehlde im Landkreis Wolfenbüttel. Anfang September werden beim Sehlder-Kultur-Sonntag erneut Tausende von Besuchern durch das Dorf flanieren, die Gärten durchstöbern und Kunst, Kunsthandwerk und Kultur in den Höfen und Scheunen bewundern. Wie eine Gemeinde mit viel Engagement und Eigeninitiative ein – inzwischen preisgekröntes – Kulturprojekt wuppt. 

Worpswede, Ahrenshoop, Sehlde – eine Künstlerkolonie in unserer Region? Gar nicht so abwegig. „Wenn am Ortseingang ein Schild ‚Dorf der Künstler‘ aufgestellt wird, haben wir es geschafft“, sagt Heike Spieker, eine der Organisatorinnen des Sehlder-Kultur-Sonntags, mit einem Augenzwinkern. Vor zwei Jahren fand die Veranstaltung zum ersten Mal statt, mit großem Erfolg. „Das Dorf brummte. Mit dem Auto kam man nicht mehr durch“, erzählt Heike Brümmer.

 

Erlebbare Kultur zwischen Rosen und Rüben

Beide Frauen entwickelten Anfang 2013 die Idee, wollten die Kultur in ihr Dorf holen. „Wir haben uns überlegt, was wir hier so haben“, sagt Spieker. Eine historische Mühle, die Dorfkirche mit einem Barockaltar von 1749, der dem Hildesheimer Holzschnitzer Ernst Dietrich Bartels zugeschrieben wird, und mittelalterliche Fresken – für ein kleines Dorf hat Sehlde schon eine ganze Menge an Hoch- und Industriekultur zu bieten.

Martina Zingler

Doch den beiden Frauen war von Anfang an auch die Breitenkultur wichtig. Also schrieben sie die Bevölkerung an, forderten die Sehlder zum Mitmachen auf. „Fast jeder ist doch irgendwie kreativ tätig“, meint Heike Spieker. Zunächst meldeten sich nur 15 Interessierte, doch die Idee machte die Runde, wurde im Dorf diskutiert und setzte sich am Ende durch. 50 Kulturpunkte waren es schließlich beim ersten Kultur-Sonntag vor zwei Jahren. Etwa an der Hälfte der Stände zeigten Sehlder selbst ihre Arbeiten, die übrigen besetzten professionelle Künstler und Kunsthandwerker aus der Region.

 

Entschleunigung beim Kunstspaziergang

In diesem Jahr gilt es fast 60 Kulturpunkte zu entdecken. Dabei werden aber weniger Einwohner selbst aktiv. „Die Leute möchten die Gelegenheit haben, durchs Dorf zu gehen“, sagt Brümmer. Die Gespräche am Stand seien es, die Spaß machen. „Man muss schon viel Zeit mitbringen.“ Das ganze Dorf lädt zum Flanieren ein, man kann sich treiben lassen, Höfe und Gärten erkunden, mit Menschen ins Gespräch kommen. Gleich um die Ecke wartet sicher die ein oder andere Überraschung. Selbst eingefleischte Sehlder entdecken schon mal versteckte Talente ihrer Mitbürger. Und sie nutzen die Gelegenheit, nicht nur „über den Zaun“ in Nachbars Garten zu schauen, sondern ihm auch einen Besuch abzustatten. „Die Veranstaltung hat eindeutig eine neue Kommunikation in Gang gesetzt“, meint Brümmer.

 

Mit viel Engagement zum „Kulturdorf“

Eine ganze Menge Arbeit steckt hinter einer Veranstaltung dieser Größenordnung. Die beiden Frauen sind ein perfekt eingespieltes Team, sind bekannt für ihre kurzen Abstimmungswege und schnelle Entscheidungen. Allerdings wird der Sehlder-Kultur-Sonntag ausschließlich in freiwilliger Eigeninitiative gestemmt, kein Verein steckt dahinter. Das macht auch die Finanzierung immer wieder spannend. Vor zwei Jahren hat die Stiftung Braunschweiger Kulturbesitz den Flyer finanziert, die aktuelle Veranstaltung wird vom Landkreis Wolfenbüttel unterstützt und auch die Initiative „Innerste Blau“, die Kulturexpeditionen ins Innerstetal fördert, ist wieder als ideeller Partner mit von der Partie. Natürlich hoffen die beiden Organisatorinnen auf viele Kuchenspenden für den gemütlichen Kaffeegarten in der Dorfmitte. Wo übrigens tatkräftig einige der bis vor Kurzem in Sehlde untergebrachten Flüchtlinge aushelfen werden.

Überhaupt lebt die Veranstaltung vom ungewöhnlich hohen Engagement der Bürger. So viele machen mit, im Garten des Einfamilienhauses ertönt Oldie-Musik, am Hundemarkt wird fleißig gebildhauert und in der Hubertusstraße liest Autorin Ulrike Siegel aus ihrem Buch über Bauerntöchter. Um die Ecke gibt es Keramik, Seiden- und Ölmalerei sowie Holz- und Metallskulpturen zu sehen, kleine Kunstwerke aus Papier oder Wolle, zarte Kalligraphie und für die Aktiven Schnupperkurse im Papierschöpfen, Ytong-Stein-Bearbeiten oder meditatives Kritzeln – das Angebot ist bunt und schier unendlich. Zum Abschluss und zum gemeinsamen Feiern treffen sich dann alle Beteiligten und ihre Gäste an der Kirche beim Auftritt des Gospelchors.

 

Kulturvermittlungspreis der Stadt Wolfenbüttel

Eine offizielle Anerkennung ihrer Leistung gab es Anfang des Jahres als Sahnehäubchen obendrauf: Der Sehlder-Kultur-Sonntag und seine Initiatorinnen gewannen den ersten Kulturvermittlungspreis der Stadt Wolfenbüttel. „In Anerkennung der ehrenamtlichen Leistung, als Wertschätzung der kulturellen Vermittlung von Kunst und Handwerk, zur Unterstützung einer kreativen Kommunikation und eines identitätsbildenden Angebots“, heißt es in der Laudatio. Beste Voraussetzungen also für die zweite Auflage.