Sport-Thieme ist einer der führenden Versandhändler für Sportartikel in Deutschland. Absoluter Langzeitschlager: die Turnbank. Die Susanne Jasper an Balance-Übungen früherer Tage erinnert.
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Banane für den Bauch und Tore für Barbados
Zu Besuch bei Sport-Thieme
Bei Sport-Thieme kriegst du vom Aufnäh-Schwimmabzeichen „Seepferdchen“ für die Badehose bis hin zur komplexen Bewegungslandschaft alles rund um Schul- und Vereinssport, Fitness und Physiotherapie - bei 19 000 Artikeln kann man hier ruhig mal „alles“ schreiben.
Der Versandhändler für den institutionellen Sport startete vor mehr als 70 Jahre als Familienunternehmen und hat sich im Laufe der Jahrzehnte in Deutschland als Marktführer etabliert, ist zudem in 10 Ländern mit einem Katalog vertreten. Das Stammhaus steht immer noch in Grasleben im Landkreis Helmstedt, die Geschäftsführung liegt wie eh und je in den Händen der Familie. Seniorchef Hans-Rudolf Thieme (74) verantwortet das regionale Sponsoring in Kitas und Schulen.
Vor sieben Jahren war ich schon einmal hier, aber seither hat sich einiges getan: Der schmucke Neubau ist längst bezogen, was unbedingt nötig war, da das Altgebäude aus allen Nähten platzte. Knapp 420 Mitarbeiter zählt das Thieme-Team mittlerweile. Tendenz: stetig steigend. Auch auf der Videoplattform Youtube ist Sport-Thieme mittlerweile vertreten. Der Kanal hat 60 000 Abonnenten.
Vom Turnkasten in die Bewegungslandschaft rutschen
Ich treffe mich mit Personalchef Christian Liebs (33) und Personaler Benedikt Bethmann (25) in einem Besprechungsraum im Neubau in Grasleben. Der Raum atmet keine sterile, austauschbare Konferenzraumatmosphäre, sondern er würde glatt auch als Wohnzimmernische in einer Ein-Raum-Studenten-Wohnung durchgehen. Kleines Sofa, lässiger Sessel, als Tisch fungiert der lederbezogene Aufsatz eines Turnkastens. Nicht wie ich ihn kenne, sondern hinten abgeschrägt, ideal für die eingangs erwähnte spielerische Bewegungslandschaft. Ich bin da mit meinen 55 Jahren eher noch geprägt vom Turnvater-Jahn-Stil der Sportstunden. Hocksprung auf den Kasten und Ähnliches.
Der Versandhändler bespielt nicht nur Youtube, sondern unterhält auch einen eigenen Blog, der von einer Mitarbeiterin und den Auszubildenden mit Content gefüllt wird. Alles Mögliche rund um Bewegung wird da gepostet, von der bewegten Pause auf dem Schulhof über die 100 Übungsoptionen im Therabogen bis hin zum Kleinen Einmaleins rund um die Tischtennisplatte. Mitnahmeeffekte für den Shop sind natürlich ausdrücklich erwünscht, aber nicht zwingend. Der Blog ist Service und, logisch, kostenlos.
„Der Umsatz geht weiter vernünftig nach oben"
In den vergangenen Jahren hat sich nicht nur die Zahl der Mitarbeiter erhöht, sind IT, Logistik und Personalabteilung personell erweitert worden, sind neue Niederlassungen unter anderem in Hamburg, Frankfurt, Leipzig und Stuttgart hinzugekommen. „Auch der Umsatz geht weiter vernünftig nach oben“, wie es Liebs formuliert. Das zurückliegende Geschäftsjahr (April `21 bis März `22) schloss mit einem Umsatz von 82,6 Millionen Euro ab.
Klingt nach einem gesunden Unternehmen. Dem die Pandemie offenbar nicht existenzgefährdend zugesetzt hat. „Klar war das eine unglaubliche Herausforderung. Aber wir hatten zum Glück schon vorher technikaffine Leute, deshalb hat es mit dem Homeoffice, dem Einrichten der Arbeitsplätze ziemlich schnell und reibungslos geklappt“, bescheinigt Liebs der IT, einen „mega Job“ gemacht zu haben. Oberste Priorität sei gewesen, immer im Kontakt zu bleiben. Das Kulturcafé gab es fortan digital, drei Mal die Woche gab es ein Corona-Update für die Mitarbeiter mit allen wichtigen Infos und Links. So dass sich jeder mitgenommen fühlte, gerade so, wie es in einer intakten Familie sein sollte.
Aber wenn alles dicht ist, kein Mattenwagen durch die Halle saust, also nichts gebraucht, nichts verschlissen wird – wo bleibt dann das Geschäft? „In der Pandemie stieg der Anteil der Privatkunden enorm“, so Bethmann. So mancher räumte damals ja die Besenkammer frei und funktionierte sie zur Muckibude um – das trug auch dazu bei, dass Thieme nicht in wirtschaftliche Turbulenzen geriet.
Das Unternehmensgebäude als Sportplatz
Damit wir in unserem Sofa gar nicht erst in trübe Pandemiestimmung zurück verfallen, bewegen wir uns runter vom Sofa und erst mal ein bisschen durchs Haus. Der Neubau nimmt in seiner klaren Gliederung sehr schön die Kernkompetenz der „Thiemer“ auf: Sport. Der Bau nimmt die Elemente einer Sporthalle auf, wenngleich das Haus dennoch kein spröder Zweckbau ist. Wer`s eher mit dem Lesen hat, kann auf dem Sichtbeton die Leitlinien des Unternehmens mitnehmen. Aktivere können an der Kletterwand unfallfreie Übungen absolvieren oder sich an den Ringen aushängen. Und der Bodenbelag animiert dazu, mal wieder die Laufschuhe hervorzukramen. Für einen 100-Meter-Sprint reicht es vielleicht nicht, aber Christian Liebs wurde zu seinem 30. sehr zur Freude der Kollegen auf einem Bobbycar auf die Flur-Strecke geschickt. Zusätzliche Schikane: Der Tischtennisbegeisterte musste während der Fahrt einen Ball auf dem Schläger hochhalten.
Fußballtore für Barbados
Das Betriebsklima scheint also zu stimmen bei Thieme, was auch Zahlen belegen: seit 1960 sind 248 Frauen und Männer bei Thieme ausgebildet worden, 40 Prozent der Absolventen sind heute noch im Unternehmen. Derzeit werden 32 junge Leute in neun Berufen ausgebildet. Seit 2018 zählt auch E-Commerce-Kaufmann/-frau zum Portfolio.
Bestellen kann jeder bei Thieme, theoretisch weltweit. Was eher selten ist, aber schon vorkam: Einmal gingen 100 Fußballtore per Schiff nach Barbados in die Karibik. Vom Aufbau dort gibt es noch eine DVD. Der internationale Vertrieb beschränkt sich sonst eher auf die Schweiz, Österreich, Niederlande und Belgien.
Mittlerweile sind wir im Fitnessraum der Firma angekommen. Dass der nichts zu wünschen übrig lässt – geschenkt, alles andere wäre auch schräg gewesen. Hier kann man Gewichte heben oder seine Balance schulen, Kettlebells wuchten oder auf der Schräge die schrägen Bauchmuskeln necken. Man könnte auch den knapp 700 Seiten starken Katalog als Gewicht einsetzen. Apropos: Ikea hat seinen schon eingestampft, droht dem „Thieme“, der einmal im Jahr mit einer Auflage von 140 000 erscheint, auch das Ende? „Nein, im Lehrerzimmer oder Vereinspräsidium ist er wichtig und gehört zum Inventar.“
Derweil die Herren fürs Fotos bella figura machen, erzählen sie, dass es 1000 Produktneuheiten (neue Versionen, überarbeitete Varianten, Innovationen) pro Jahr gibt. Ich wage mich an die Frage heran, was denn so Trend sei derzeit.
Foobaskill! Eine Mischung aus Fußball und Basketball. Es soll Koordination und Kreativität schulen und klingt nach mächtig viel Attacke. Ebenso wie Padel-Tennis, das sich beim Squash und Tennis bedient.
25 Jahre Garantie - eine Glaubensfrage
Da ist man ja schon vom Zuhören und gedanklichen Übers-Feld-Hechten groggy. Ich lass` mich lieber mal in die Vergangenheit fallen. Als ich selbst an der Hand meiner Mutter über umgedrehte Turnbänke balancierte. Ein ähnliches Foto gab es dann dreißig Jahre später mit meinem Sohn. Und die Turnbänke – die werden immer noch in der Holzwerkstatt gefertigt. Ebenso wie die mehrteiligen Turnkästen. „Die Turnbank ist unser Verkaufsschlager. Nach wie vor.“ 25 Jahre Garantie gibt`s auf dieses Produkt. Bethmann zuckt die Schultern: „Wir glauben an unsere Produkte.“