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Stadionfunk – die Eintracht Braunschweig-Kolumne:
Alles nur ein böser Traum?

Am Samstag war es wieder soweit – Matchday!  Der KFC Uerdingen war zu Gast im Eintracht-Stadion. Ein Spiel, zwei Perspektiven. Unsere Regionäre Malte Schumacher und Kay Rohn berichten.

Malte Schumacher

Alle Jahre wieder …

Im November ist seit einigen Jahren ein Wochenende dafür reserviert, zusammen mit einem stetig wachsenden Haufen lieber Menschen aus Braunschweig ein Indoor-Musikfestival an der Ostsee zu besuchen: den „Rolling Stone Weekender“ in der Ferienanlage „Weissenhäuser Strand“. Unsere Tickets für die diesjährige Ausgabe hatten wir bereits vor Ort im November 2017 gebucht – da war die Eintracht noch Zweitligist, und das Heimspiel, das wir seinerzeit in der dortigen „SportsBar“ erlebten, ging 2:2 aus. Gegner damals war Darmstadt 98. An ein Match gegen Uerdingen war nicht zu denken in jenen Tagen …

 

Block 6 an der Ostsee

Da in unserer bald zwanzigköpfigen Reisegruppe mit Clemens, Hermann, Matze und Jörg weitere vier Block-6-Steher versammelt sind, geht es am Freitag, dem ersten Festivalabend, immer wieder auch um die Frage, wie und wo wir das Spiel am Samstag erleben werden. Zugleich wird immer wieder darüber diskutiert, warum es im Moment so gar nicht läuft bei der Eintracht, und wer dafür die Verantwortung trägt. Keiner aber kann skizzieren, was nun zu tun wäre, um die Mannschaft wieder zu stabilisieren und ins Mittelfeld der Tabelle zu führen – keiner. Vorstand raus? Und wer macht’s dann? Trainer noch einmal tauschen? Bist du verrückt? In der Winterpause Millionen ausgeben für neue Spieler? Woher nehmen – und ob das hilft? Wir drehen uns im Kreis.

 

Musik hilft

Zum Glück gibt’s ja großartige Musik zu erleben an der Ostsee: Erst spielen „Nada Surf“ uns auf der Hauptbühne warm. Danach zeigen uns die drei jungen dänischen Schwestern von „Velvet Volume“, was ein echtes frisches Punk-Brett ist. Ich muss kurz an Henrik Pedersen denken – nee, ich gehe lieber ein Bier holen. „White Denim“ aus Texas blasen dann mit ihrem Gitarren-Gegniedel  endgültig alle Gedanken an den Spieltag hinfort. Die guten alten „Flaming Lips“ liefern zum Abschluss des Freitagabends auf der Hauptbühne ein schrill-buntes Gesamtkunstwerk ab – inklusive Bubble-Walk des Sängers. Danke dafür!

 

Live-Ticker am Strand

Am nächsten Morgen dann also Matchday: Clemens und ich setzen für den geplanten Strandspaziergang unsere blau-gelben Strickmützen auf und um den Hals kommen die Fanschals. Das sorgt ja auch für Klarheit: Unterwegs hören wir aufmunternde Kommentare von anderen Spaziergängern: „Hey Eintracht: Viel Glück nachher gegen Uerdingen!“. Können wir gebrauchen. Hermann hatte kurz vor dem Aufbruch noch den Gedanken platziert, das Spiel auf seinem IPad live zu schauen – niemand aber war in Begeisterung ausgebrochen. Die letzten Niederlagen haben uns alle so runtergezogen, dass wir uns mit dem Unterwegs-Live-Ticker begnügen wollen. Außerdem lockt so ein Ostsee-Strandspaziergang ja immer …

Malte Schumacher

Zeichen und Aufmunterung

Bevor wir den Strand erreichen, entdecken wir ein hoffnungsvolles Zeichen: Auf dem Kinderspielplatz des Geländes schwingt ein blau-gelber Wackel-Fisch sanft vor sich hin … Das bedeutet doch was! Und an der Seebrücke geht’s weiter mit aufbauender Ermunterung und Hoffnung: Nette Damen aus St. Pauli (und sogar Hannover!) erkennen Clemens Schal und wollen unbedingt mit ihm für die Eintracht auf’s Foto – gerne, in unserer Situation nehmen wir alles dankend an. Auch Johannes und Timo, denen wir unterwegs begegnen, wollen uns ermutigen und die Eintracht positiv beeinflussen: Zusammen mit Clemens bitten sie den Gott des Meeres um Beistand für das Spiel, das bald beginnt. Über den Fanclub-WhatsApp-Kanal bemängelt Volker um genau 13.00 Uhr: „Trauerspiel im Block … Keiner da“ … Kein Wunder, bei der massiven Block-6-Präsenz hier an der Ostsee …

Aufstellung

Irgendwo leicht westlich vom Ferienpark-Gelände erreicht uns die Aufstellung: Fürstner fehlt zum ersten Mal in der Startelf, vorne Putaro, Hofmann und Bulut. Unser zweiter Clemens, der Cottbus Clemens (er stammt aus Spremberg und ist mit Energie groß geworden) versorgt uns von nun an über seinen Twitter-Live-Ticker mit aktuellen Informationen. Denn wieder einmal wird uns vor Augen geführt, wie semi-professionell wir mittlerweile unterwegs sein müssen: Die Kicker-App gibt uns gefühlt alle zehn Minuten mal eine dürre Info – Live-Charakter kommt da gar nicht auf. „Drangphase Uerdingen“ sagt Cottbus-Clemens nach 20 Minuten. Ich schaue auf’s Meer hinaus …

 

Das Gegentor

Als wir das „Bootshaus Weissenhaus“ erreichen, ein schickes Strand-Bistro mit Sylt-Attitüde, heißt es für 20 Braunschweiger warten auf einen freien Platz. Hurra, endlich können wir intensiv auf unsere Smartphones starren – wo allerdings prompt das 0:1 fällt. Irgendein Uerdinger hat wohl einfach mal draufgeballert und drin ist er. Irgendwie habe ich genau das in den letzten Wochen hundert Mal gelesen und tausend Mal erlebt. Clemens guckt genervt, ich kann nicht mehr. Nach einem Tisch in einer Sylt-Bude ist nun niemandem mehr, wir schlendern den Waldweg oberhalb des Strandes langsam zurück und beginnen wieder mit den endlosen Elends- Analysen: wieso, weshalb, warum nur?

Malte Schumacher

Das Eintracht-Schiff schlingert mächtig-gewaltig

Antworten aber gibt es keine, nur Bestandsaufnahmen: Durch fehlenden Fußballsachverstand kam es zu falschen Entscheidungen. Erst zu lange an Torsten festgehalten, dann Henrik (oder besser: seinem Konzept) zu sehr vertraut. Hätte mir auch beides passieren können – ich bin aber nicht in Amt und Würden bei der Eintracht. Mittenrein in unser Trübsal fällt das 0:2, nach einem Monster-Fehlpass von Burmeister. Jetzt setzt bei mir wieder sowas wie Apathie ein — ohne konkret zu wissen, was im Stadion los ist (der Fanclub-WhatsApp-Kanal ist allerdings verdächtig ruhig) gebe ich das Spiel verloren. Als wir auf unserem Weg zurück ein Klettergerät passieren, das einem schlingernden Schiff nachempfunden ist, befestigen Clemens und ich unsere Schals daran. Wir legen eine Schweige-Minute ein und trotten langsam weiter.

 

Matjes mit Remoulade

Mitten in der Halbzeitpause erreichen wir wieder das Ferienpark- und Festivalgelände. Auf dem „Dorfplatz“ gibt es eine Fischbrötchen-Bude. Also endlich mal was essen. Hermann legt mir nahe, meine blau-gelbe Mütze abzusetzen – das Ding ist durch. Ja, denke ich zwar auch, aber noch gebe ich nicht völlig auf. Da sie die Matjes-Brötchen hier mit Remoulade vollpampen (wer braucht das denn?) verabsentiere ich mich in Richtung unseres Appartements. Bevor der Samstagabend-Musik-und Bier-Alarm um 17.30 Uhr wieder losgeht, will ich noch einmal ins Kissen geguckt haben.

 

Hops mit Schal

Bei meinem Weg vorbei an den Merchandising-Ständen des Festivals habe ich dann eine Eingebung: Wenn ich jetzt ein Foto von Hops mache, dem Weissenhäuser Strand-Maskottchen, und dieser trägt dabei den Eintracht-Schal, dann drehen die Jungs an der Hamburger Straße das Spiel noch. Hops nickt und winkt – wahrscheinlich kann man mit dem nahezu alles machen … Leider aber ist fünf Minuten später die Lage noch trister: Hofmann vergibt kläglich einen Elfer und Sauerland sieht rot. Ich habe die Schnauze voll, ich möchte mich nur noch hinlegen.

Malte Schumacher

Ein böser Traum?

Vielleicht ist das alles ja auch nur ein böser Traum. So wie in der TV-Serie „Dallas“ vor über 30 Jahren, dort wurden 31 Folgen der 9. Staffel nachträglich zu einem bösen Traum von Bobby Ewings Frau Pam erklärt. Diese hatte nach dem (ja nur geträumten) Tod von Bobby neu geheiratet – aber kein Problem: Bobby stand eines Morgens einfach (wieder) in der Dusche, Pam sagte kurz: „Ich hatte einen furchtbaren Traum“ und Bobby antwortete genauso kurz: „Es ist vorbei. Nichts davon ist passiert.“ Mit diesen Gedanken schlafe ich dann ein und bin gespannt, wer nachher unter unserer Dusche steht und mir die Champions-League-Geschichte der Eintracht erzählt …

 

Kay-Uwe Rohn

Quälix

Wie viel Qual liegt noch vor uns? Vor den Spielern, vor den Fans, vor den Verantwortlichen? Schaffen es alle Beteiligten, an einem Strang zu ziehen oder wird  die Kluft zwischen Verein und Fans immer größer. Auf dem Übungsgelände an der Rheingoldstraße sieht man den „Magathschen Quälhügel“.

Kay Rohn

Wie oft müssen wir den Hügel noch erklimmen, den „Quälix“ zur Stärkung der Muskulatur und Stärkung der Physis seiner Spieler erfunden hat? Kann das auch reinigend sein? Im besten Sinne ja – nur müssen alle gemeinsam dazu bereit sein. Und wir sollten einen Schlussstrich unter die Vergangenheit setzen. Die werden wir nicht verändern, verändern und gestalten können wir die Zukunft. Also nach vorne schauen und nicht gegenseitig behindern. Das Ziel heißt: Klasse halten, stabil werden und langsam wieder nach oben klettern.

 

Kopfsache oder Qualität?

Gästetrainer bescheinigen uns reihenweise, dass wir einen spielerisch guten Kader haben. Ich glaube nicht an das Ammenmärchen der Kopfsache. Ich glaube, die fußballerische Qualität im Kader reicht nicht aus. Wir machen immer wieder auf der rechten Seite Fehler. Wiederholt habe ich gesehen, dass drei Spieler am Strafraum des Gegners sind und der Rest der Mannschaft 30 bis 40 Meter weiter hinten steht. Wo sind die offensiven Sechser, die das Spiel eröffnen können? Und vorne fehlt einfach ein Kumba. Ich bin für je einen qualitativen Austausch in jedem Mannschaftsteil. Aufgabe an das Scouting ist, hier für alternative Vorschläge zu sorgen. Also, das ist meine Meinung.

 

16.510

… Zuschauer. Die leeren Plätze werden mehr und fallen ins Auge. Hier können wir ansetzen und andere motivieren, gerade jetzt ins Stadion zu gehen.

 

XXL-Team

Um zu erinnern, dass es viel mehr als den Kick in der 3. Liga gibt, hier ein Hinweis auf den nächsten Samstag. Am 17.11.2018 ist in Mainz Anstoß zum Turnier „Fußballfans im Training“. 14 Mannschaften aus dem bundesweiten Kooperationsprojekt mit der Deutschen Krebshilfe „Fußballfans im Training“ spielen den Besten der Besten aus. Alle Projekte laufen seit etwa zwei Jahren an Bundesligastandorten.

Kay Rohn

Ich fahre mit unserem XXL-Team, 13 Spielern und zwei Betreuern nach Mainz. Ohne unsere Eintracht würde es so ein Projekt unter den Fans nicht geben. Ein Großteil der Teilnehmer hat während der Zeit signifikant abgenommen, teilweise 20 bis 40 Kilogramm. Und alle sind vor allem wieder beweglicher geworden. Unser Auftaktspiel dort lautet Eintracht Braunschweig – Hertha BSC, was für klangvolle Namen.

 

32. Minute

Eine halbe Stunde war das Spiel einigermaßen okay. Die ersten zwei Chancen galten den Uerdingern, dann kam unsere stärkste Phase und Bulut hatte das 1:0 auf dem Fuß, konnte aber nicht vollstrecken.

 

34. Minute – Tor 1

Der Uerdinger Angreifer kommt mit viel Geschwindigkeit angelaufen, wird nicht entschieden angegriffen, Schuss, Tor. Abwehrfehler.

 

42. Minute – Tor 2

Felix Burmeister verliert die Orientierung, schiebt den Ball zurück in den Raum Richtung eigenes Tor, Ibrahimaj nimmt den Ball gerne auf und schießt rein, keine Gegenwehr!

 

Mannschaftsgeist

Natürlich wäre ich gern in der Halbzeitpause in der Kabine gewesen. Was sagt der Trainer? Was sagen vielleicht auch Spieler? Herrscht Niedergeschlagenheit vor oder gibt es Kämpferherzen, die andere mitziehen? Ein Ruck ist nicht durch die Mannschaft gegangen, so richtig erholt von dem 0:2 hatte sich keiner der Spieler. Einen Elfmeter verschießt Hofmann in der 71. Minute und Sauerland muss nach einer Tätlichkeit, berechtigt oder nicht, vom Platz.

Abstiegskampf

Wir müssen jetzt den Abstiegskampf annehmen. Es gibt noch 23 Spieltage. Das entspricht 69 Punkten. Wir benötigen 45 und davon haben wir zurzeit 9. 36 zusätzliche Punkte sind unser Ziel oder 12 Siege. Das macht über die Hälfte der verbleibenden Spiele aus.

Mir ist aufgefallen: Das hässliche Gesicht des Fußballs, gibt es auch in Braunschweig.

Kay Rohn