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Stadionfunk – die Eintracht Braunschweig-Kolumne
Auf dem Weg zur Heimmacht …

Am Samstag war 1860 München zu Gast im Eintracht-Stadion. Ein Spiel, zwei Perspektiven. Unsere Regionäre Malte Schumacher und Kay Rohn berichten.

Malte Schumacher

Zweifel und Frust

Na klar bin ich nervös am Spieltag. Die Hitze brät mich gar seit einer Woche, der Nachtschlaf ist nur bedingt erholsam – und in den vergangenen 36 Heimspielen an der Hamburger Straße gab es gerade mal zehn Siege zu erleben. Wir haben nun zwei Jahre hintereinander gegen den Abstieg kämpfen müssen – einmal erfolglos und einmal am Ende wegen eines einzigen mehr erzielten Tores gerade noch so erfolgreich. Will sagen: In mir stecken Zweifel und Frust noch ganz tief drin, daran hat auch die Sommerpause nichts geändert.

 

Sabotage?

Das habe ich gestern Abend gemerkt, als ich auf der Wolfenbütteler Straße am Mannschaftsbus der 60er vorbeigeradelt bin, der vor dem Penta-Hotel stand. „Ups“, habe ich gedacht, die schon wieder – die haben sich doch gerade erst vor vier Monaten unsäglich benommen hier im Stadion… Dann habe ich in den Fanclub-WhatsApp-Kanal reingefragt, ob jemand Zeit und Lust hat, jetzt gleich die Hotel- Klimaanlage zu sabotieren. Ich bin also zu allen Mitteln bereit, um wieder mehr Siege zu sehen an der Hamburger Straße…

Malte Schumacher
Der 60er Bus vorm Penta-Hotel

Heimmacht

Unser neuer Trainer, der vierte innerhalb von 15 Monaten, sieht das wohl genauso wie ich: Beim Frühstück lese ich zur Spieltagsvorbereitung die Braunschweiger Zeitung, und die zitiert Christian Flüthmann so: „Wir müssen eine Heimmacht werden. Die Umgebung ist bekannt, die Fans unterstützen uns, also gibt es nichts Besseres, als die Spiele zu gewinnen.“ Richtig, der Mann gefällt mir. In der Tat macht er bislang einen sehr guten Eindruck auf mich, fachlich und menschlich. Aber auch da sind nach den Erfahrungen mit Pedersen (Schaumschläger) und Schuberth (Arschgeige) meine Hoffnungen erstmal realistisch gedämpft.

 

Nord-Süd-Gefälle

Die Ultràs von Cattiva haben für heute wieder zum Treffen am Schloss und dann zum gemeinsamen Marsch zum Stadion aufgerufen, wie zuletzt im Juli 2018. Um 10.30 Uhr geht’s los – das schaffe ich aber nicht mehr. Also versuche ich, den Fan-Marsch irgendwo unterwegs mit dem Fahrrad einzuholen. Auf dem Mittelweg parkt gerade ein Opel mit Bad Tölzer-Kennzeichen ein, und ein blau weiß-beschaltes mittelaltes 60er Paar steigt aus. Ich muss schmunzeln und erkläre ihnen den Unterschied zwischen Süden (da sind sie gerade, also im Heimrevier) und Norden (da müssen sie hin, da sind die anderen 60er). Ob sie das jetzt wirklich zu Fuß machen wollen, über die Rheingoldstraße (Süden, Heimrevier), das dürfen sie nun selber entscheiden…

 

Engelhardt

Nee, dem Fan-Marsch begegne ich erst auf der Rheingoldstraße, und Fotos davon sind nicht erwünscht – Verfolgung verursacht Skepsis, schade eigentlich. Als ich dann mein Fahrrad abschließe, trete ich fast auf Marcel Engelhardt – jedenfalls auf eine dort unter einem Baum liegende Spielkarte mit seinem Bild und seinen Leistungsdaten Stand 2017/18. Oh Gott, soll das ein Zeichen sein: Spielt Jasmin Fejzic heute tatsächlich nicht? Macht mich nicht schwach… Sein „Unfall“ sah richtig fies aus beim Spiel in Magedeburg – dass es dann „nur“ eine Gehirnerschütterung war, hat mich fast erleichtert…

 

Altes Trikot, alte Bekannte

Beim Bummel durch die Rheingoldstraße stoße ich auf einen jungen Fan in einem alten Trikot, das ich auch mal hatte, mit dem Sponsoring-Aufdruck „Getränke drive 24“. Sehr lässig, meines ist leider weg – verloren, verschenkt, ich weiß es nicht mehr. Im Fan Haus-Bereich gibt’s neue Wandgemälde zu entdecken, die auf Folien aufgesprayt sind – schöne Idee. Am FanRat-Wagen wiederum geht’s schon um das nächste Spiel, FanRat-Mitglieder können dort ihre Auswärtskarten für Jena am 30. Juli abgeholen. Wiedersehensfreude: Endlich sind auch Giovanna und Natasha mal wieder dabei…

Unser Bus ist schöner…

Da mir gestern ja dieser langweilige 60er-Bus begegnet war (der Aufdruck „575859SECHZIG“ klingt wie eine Billig-Hotline) mache ich zwischen Haupttribüne und Südkurve noch ein Foto von unserem „Löwenkäfig“. Dabei treffe ich auf zwei Fans, die schon seit Jahren gemeinsam auf der Rolli-Rampe mitfiebern – der eine sorgt stets dafür, dass der andere seine Leidenschaft leben kann. Großartig. „Bussi“ Skolik macht hier nach dem Einparken des Mannschaftsbusses auch noch seine Runde und begrüßt jeden Rolli-Fahrer mit Handschlag, cooler Zug von ihm.

 

Elektrolyte

Jetzt aber hoch in den Block 6, wo die Damen und Herren aus dem Fanclub-Umfeld schon Elektrolyte nachladen. Ich habe mir angesichts der Hitze vorgenommen, während des Spiels höchstens ein Bier zu naschen… Aufstellung? Ja, Fejzic spielt, Gott sei Dank. Der Rest ergibt sich von selber, nach dem recht guten 4:2 in Magdeburg tauscht der Trainer nur Schwenk für Putaro, der Rest bleibt gleich. Die Erwartungshaltung im Block ist schon wieder recht hoch: „3:0“ sagt Mex, „3:1“ ist Jens‘ Tipp – hmmm, ich bleibe erstmal vorsichtig.

 

Mölders, der alte Sack

Die ersten fünf Minuten sehen ganz gut aus – das Tor aber machen genau in dieser Minute die 60er, Sascha Mölders darf nach einer Ecke einköpfen. Warum ausgerechnet der Vogel (Vollblut-Stürmer, 34 Jahre alt, 1,87m groß, 120 Karriere-Tore nun) im 16er von unseren Verteidigern alleine gelassen wird, weiß sich hier im Block keiner zu erklären. Schade, ich verfalle gleich wieder in meinen Fingernägel-kauen-Modus aus der vergangenen Saison. Zum Glück bleibt die Stimmung insgesamt aber gut, die Fans belohnen das Team für die Wahnsinns-Rückrunde und den Nicht-Abstieg mit fettem Support.

Doktor Schiedsrichter

Nun aber tut sich die Eintracht sehr schwer. Spielaufbau (das meint ja die kontrollierte Weitergabe des Balles von hinten durch das Mittelfeld nach vorne in den Sturm) findet kaum statt, im Gegenteil: Meistens muss Nkansah die Pille von hinten über das Mitteldfeld hinweg nach vorne schwaken… Die 60er stehen aber auch sehr hoch und gehen sofort drauf auf die ballführenden Spieler, gerne auch rustikal. Nach dem Spuck- und Rassismus-Lügen-Alarm aus dem letzten Heimspiel gegen die Vögel war eine hitzige Atmosphäre ja zu erwarten – hoffentlich kann der Schiri damit umgehen. Heute ist das Dr. Martin Thomsen (Titel seiner Dissertation: „Tax planning via accounting and location decisions – Insights from Europe“). Aha. Was?

 

„Torfabrik Kobylanski“

Nee, das kann der Schiri leider nicht – eine klare Linie ist nicht zu erkennen, drei gelbe Karten schon nach 25 Minuten und immer wieder 60er-Rudelbildung um ihn herum und insbesondere „Radio Mölders“ ist auf Dauer-Sendebetrieb in Richtung des Steuer-Doktors. Torchancen haben wir gar keine – was wird das bloß heute? Dann schießt Schwenk kurz vorm Pausenpfiff einfach mal auf’s lange Eck aus 20 Metern, der 60er Torwart hält den Ball zwar, doch „Torfabrik Kobylanski“ steht genau richtig und köpft das 1:1. Sein viertes Tor im zweiten Spiel – was für ein Neuzugang… Holger Aden lässt grüßen, der sagenhafte Torjäger-Neuzugang der Saison 1989/90.

 

Kohle-Ausstieg

1:1 zur Halbzeit, und sofort wird im Block lebhaft über die Stadion-Bratwurst diskutiert. Sie ist kürzer geworden und teurer zugleich (nun 3,00 Euro). Schlimmer aber: Der Caterer hat die Holzkohlegrills abgeschafft und durch Elektrogrills ersetzt… In Block 9 gab’s ein schönes Banner zu dem Thema: „Wollt Ihr uns für dumm verkaufen? Der Grill darf nur mit Kohle laufen! Kohleausstieg verhindern!“ Mein persönliches Fazit: Schmeckt in der Tat nicht so gut – und ein wenig Tradition ist auch wieder verschwunden…

Malte Schumacher
Bei der Stadionwurst geht's um Kohle...

„Radio Mölders“

Zur zweiten Hälfte kommt Ademi für Nehrig – der „Torhan“ also, der nie so richtig einer war in seiner ersten Zeit bei uns… Und Schiri Thomsen fummelt weiter mit seinem Kartenspiel rum: Gelb für Becker und Schwenk nach fünf Minuten. Kopfschütteln um mich herum. Unmittelbar danach aber sieht der 60er Verteidiger Weber seine zweite Gelbe und geht duschen – nun wird geklatscht und frohlockt… Ich atme durch: Gegen zehn 60er sollte eigentlich nichts mehr schief gehen. In der 61. Minute bekommt auch endlich „Radio Mölders“ sein Kärtchen – der Schiri hat keine Lust mehr auf das Gedudel…

 

Kessel, ausgerechnet Kessel…

Kobylanski macht viele Standards, und die sehen auch immer gut aus. Eine Ecke direkt vor unserem Block führen sie kurz aus, und Koby hat richtig schön Zeit, sich in der Mitte vor dem 60er Tor einen Adressaten zu suchen: Benni Kessel macht per Flugkopfball das 2:1. Und Benni genießt das sehr, legt die Hände hinter die Ohren und signalisiert seinem Anspucker von vor vier Monaten und den anderen blau-weißen Vögeln: „Noch Fragen? Noch was zu sagen?“ – wir springen und klatschen ab, Bier fliegt. Yes, das könnte was werden heute! Ich finde allerdings noch nicht heraus aus meinem Zweifel-Modus der letzten zwei Jahre…

 

Feiern mit den Fans

Ich kaue also wieder Fingernägel und starre auf die Uhr: 30 Minuten ist noch ein langer Weg. Und dass wir einer mehr sind, ist nicht wirklich deutlich sichtbar, einige Konter werden nicht konsequent genug finalisiert. Auch Koby wirkt nun ein wenig müde – kämpfen, Jungs! In der 85. Minute ballert Putaro an den Pfosten – das wär’s gewesen… 5 Minuten Nachspielzeit – dann die Erlösung: Schlusspfiff!! Und nach langer Zeit geht die Mannschaft irgendwann auch wieder geschlossen in die Südkurve und feiert dort mit den Fans den zweiten Sieg der noch jungen Saison. Ich bin sehr erleichtert – für zwei Siege haben wir in der letzten Saison 19 Spieltage gebraucht…

Malte Schumacher
Endlich wieder Siegesfeier vor Block 9

Kay-Uwe Rohn

Eintracht Braunschweig vs 1860 München:

 

Magdeburg – 1860 München – Jena

Meine Zielsetzung vor dem Spiel gegen Magdeburg: 6 Punkte aus den ersten drei Spielen. Das wäre für mich ein guter Start.

 

Millionen für 1860

Geld schießt keine Tore fällt einem dazu natürlich sofort ein. Der Investor Hasan Ismaik ist zwar nicht mehr persönlich in den Gremien vertreten, aber weiterhin Anteilseigner in der Kapitalgesellschaft. Was hat sein Engagement seit 2011 gebracht. Eine erfolgreiche Strategie konnte er sicherlich nicht auslösen. Allerdings wäre es auch möglich gewesen, dass die Münchener Löwen, der alte Traditionsverein, gänzlich von der Fußballbühne verschwindet. In Berlin bei der „Alten Dame“ taucht der windige Lars Windhorst als Millionenbringer auf und investiert. Die Liga braucht Geld, um in Europa nicht abgehängt zu werden, aber auch hier wünsche ich mir zielgerichtete, strategisch durchdachte Konzepte im Vorfeld einer Beteiligung.

 

TRAINER

Eine große Veränderung für die Spieler ist jetzt: „Sie müssen TRAINER zu mir sagen.“ Beim Grill mit dem Eintracht-Pool, Verantwortlichen und dem Team kann ich mich am Rande mit Christian Flüthmann unterhalten. Beeindruckend, seine Entscheidung, die Trainerausbildung in England zu machen. Während es in Deutschland vorrangig um Taktik und Physis gehe, sagt er, werde in England daran gearbeitet, wie ein Trainer mit seiner Mannschaft umgeht – wie führt er, wie kann er eingreifen, was ist seine Aufgabe. Sehr spannend diese Auffassung, weil sie nicht die Mentalität der deutschen Trainerwelt widerspiegelt. Bei einem Trainer wie Klopp kann ich mir vorstellen, dass gerade dieser Fokus den Erfolg ausmacht. Der TRAINER wirkt jung, aber nicht unerfahren. Er hat auch eine weitaus realistischere Einschätzung der dritten Liga als Henrik Pedersen zu Anfang der letzten Saison. Taktisch spielt er gerne in der 4-2-3-1 Formation, so auch gegen die 60er. Im Spiel stellt er aber auf eine Fünferkette in der Verteidigung um. Meine Meinung zu ihm: Er hat das Zeug, ein Großer zu werden, wenn er sich treu bleibt.

Zwei Matadore

Minutenlang beobachte ich nur die Laufwege von Benjamin Kessel und Efkan Bekiroglu. Beide tragen die Vorgeschichte aus dem letzten Spiel mit in das Match. Vernichtende Blicke gehen hin und her. Bekiroglu tut gut daran, die Stimmung nicht weiter anzuheizen. Das geschieht eher durch Kessel. Diesmal scheint es das Braunschweiger Spiel positiv anzuheizen und bringt eine Portion Aggressivität mit, die förderlich für das Team ist. Den Stierkampf gewinnt Benjamin Kessel ganz klar. Im Fallen versetzt er den Münchnern mit seinem Kopfball den entscheidenden Dolchstoß. Nach dem Tor zeigt er Bekiroglu die Beckerfaust.

 

Gelb und Rot

4x Gelb für Eintracht-Spieler, die Münchner sind mit 5x Gelb und 1x Gelb-Rot dabei. Diese Bilanz spricht gegen eine Münchner Mannschaft, aber auch nicht für den Schiedsrichter. Der wirkte unsicher, unentschlossen und die eine oder andere Rote Karte hätte auch noch kommen können. Die Robustheit der Münchner glichen die Einträchtler aus und waren nicht zimperlich in ihren Aktionen. Das betrifft Foul spielen genauso wie meckern. Die unschöne Rudelbildung bei jeder Entscheidung des Schiris sollten die Münchner wieder ablegen. Sie haben mehr davon, einfach Fußball zu spielen.

 

Flüthmann + Team + Vollmann

Diese Formel scheint aufzugehen. Gute Rückrunde, Mannschaft extrem gut verstärkt = Erfolg. Flüthmann hatte vor der Saison einen Plan. Vielleicht hat uns auch der Trainer auf der Durchreise, André Schubert, bei der Kaderplanung noch den einen oder anderen guten Dienst erwiesen. Vielleicht bringt uns die Erfahrung von Peter Vollmann in der dritten Liga weiter und gibt uns Halt und den teilweise jungen Spielern Sicherheit. Für diese Liga sind wir, meiner Meinung nach, sehr gut gerüstet. In der Perspektive der nächsten Jahre fehlt mir ein wenig die Vision, aber daran kann jetzt ja gearbeitet werden. Zwei Siege in den ersten Spielen sollten der Mannschaft aber auch dem Verein die dafür nötige Ruhe geben.

 

Bestätigen

Wenn die Mannschaft die ersten Spiele bestätigen kann, sehe ich uns auf einem sehr guten Weg. Ein Goalgetter hat schon unter Beweis gestellt, dass er zählbare Beiträge einbringt, ein zweiter wird bestimmt in den nächsten Spielen auch treffen und außerdem haben wir einen neuen, weiterentwickelten Ademi, der auf dem besten Weg ist, ein Eintracht-Botschafter zu werden. Jetzt nicht abheben, sondern sorgfältig analysieren, Themen ansprechen, die noch nicht ganz passen, und vor allem wieder Spaß haben. Das sieht gut aus.

Mir ist aufgefallen: Die „Alten“, wie Domi oder Bole beobachten die Eintracht in den sozialen Netzwerken sehr aufmerksam und fast schon liebevoll.