Aus sicherer Entfernung von über 8000 Kilometern beobachtet Malte Schumacher das Derby, Kay Rohn aus nächster Nähe. Dort sieht er: Dramatik auf dem Platz, gruselige Szenen daneben. Heute mit dabei: Ein Exklusiv-Kommentar von 11Freunde-Redakteur Felix Gropper als Video!
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Stadionfunk Eintracht Braunschweig: Deutschlands derbstes Derby
Malte Schumacher:
Matchday
Um 8.15 Uhr Ortszeit in Austin werde ich langsam wach. Ich bin seit neun Tagen mit Henrik „Hank Twang“ und Clemens „Marshall Twang“ in Texas/USA unterwegs. Zunächst ein paar Tage in Austin, dann raus nach West-Texas in den Big Bend Nationalpark. Geplant haben wir diesen Urlaub vor einem Jahr — ohne Wissen um den Spielplan. Wir besuchen gemeinsame langjährige Freunde, und die beiden TWANG-Musiker sammeln Inspirationen für ihr „Twangtyfive Festival“ im Juni.
Und nach einem Club-Samstag, den wir bereits um acht Uhr morgens gestartet haben und in dessen Verlauf Clemens spontan zum Mitspielen bei einem Gig im „Continental Club" eingeladen wurde, fanden wir erst sehr spät in den Schlaf...
7:30 in der Frühe: Derbyzeit
Henrik bringt uns nun zwei Becher Kaffee ans Bett, weil er weiß, dass uns nun das Derby sehr bewegt. Clemens ist schon wach und starrt auf den Live-Ticker, als ich zu mir komme: „Wenigstens spielen die anderen für uns, Sandhausen und Rostock liegen derbe hinten“. Ja und wir?? 0:0 zur Halbzeit. Puh, okay. Auf den üblichen Matchday-WhatsApp-Kanälen ist es ruhig — klar, meine Fanclub- und Block-Buddies sind schon mittendrin.
Männer, die auf Ticker starren
Spielen wir mit einer 4er-Kette hinten? Clemens und ich glauben aus den digitalen Aufstellungs-Schemata ablesen zu können: Ja. Davor die beiden 6er Nicolaou und Krauße, offensiv Kaufmann, Lauberbach und Ujah. Gebt Gas Jungs, die Luft ist dünn geworden im Tabellenkeller! Wir haben zuletzt zuviel liegengelassen, und zuwenig gerissen. Dass es ausgerechnet heute gegen 95+1 super wichtig ist, drei Punkte zu holen, ist hart — aber egal.
Wir schlürfen den Kaffee und starren auf den blöden Ticker. Sky/Wow gucken geht nicht, beziehungsweise erfordert die Installation einer Tunnel-VPN-App, hat Henrik uns erklärt. Äh ja — nee, keine Lust. Der Ticker erzählt uns, dass die Eintracht die besseren Chancen hatte — aber mal wieder keine davon genutzt hat. Ein Alu-Treffer von Ujah, Paraden von Zieler — es bleibt torlos. Unsere Wechsel in der 73. Minute haben Clemens und ich vorhergesehen: Multi und Wintzheimer für Kaufmann und Lauberbach. Passt. Bleibt dran, macht was! Wir beißen in unsere Kissen. So ein Live-Ticker ist hart, in der 81. Minute heißt es: „Braunschweig bringt offensiv kaum mehr einen Fuß auf den Boden“. Man, I wish we could be there…!
Wir fachsimpeln darüber, wie wichtig der Sieg wäre, und wie fatal eine Niederlage. Vor der Länderspiel-Pause wäre das Gezeter groß, wenn das heute in die Hose geht. Fußball-Narr Henrik steckt seinen Kopf zur Tür rein: „Meint Ihr, da passiert noch was??“ — das wäre schön, ein 0:0 hilft uns gar nicht. Glücksbringer-Situationen hatten wir genug unterwegs: Wir waren auf der Route 67 unterwegs, und in der Terlingua Ranch Lodge hingen blau-gelbe Boots an der Wand.
Nicolaouuuu...!
Immer wieder wische ich auf dem Smartphone von oben nach unten, um den Ticker zu aktualisieren. Plötzlich die banale Einblendung: 1:0 für Eintracht durch Nicolaou in Minute 90+1. Wir schreien, singen, boxen auf unsere Kissen. Ich male mir aus, was im Block 6 gerade los ist: Ekstase. Außer einigen Wechseln passiert wohl auch nichts mehr: Schlusspfiff, Derby-Sieg!!!
Super Gefühl, und gefeiert wird das nun bei unserem Freund Scott, der zum „Crawfish-Boil“ geladen hat. Mit dabei auch unser alter Buddy Will Larson, der mal zwei Jahre an der HBK Braunschweig Kunst studiert hat und damals vom Eintracht-Virus infiziert wurde. Er und Clemens liegen sich in den Armen und singen Eintracht-Lieder. Das Schlusswort heute hat Felix Gropper, 11Freunde-Redakteur und Eintracht-Fan. Ich habe ihn um ein Video zum Derby gebeten — und er hat geliefert. Danke Felix, Du hast einen gut bei mir — wir sehen uns daheim im Eintracht-Stadion!
Kommentar zum Derbysieg von 11Freunde-Redakteur Felix Groppe
Kay Rohn:
Holzkreuze, Hass im Netz
Diesmal ist es kein schönes Gefühl, zum Spiel zu fahren, ich habe kaum Vorfreude auf das Derby. Wenn ich im Vorfeld mit Freunden über das Spiel spreche, überwiegen meist die negativen Begleitumstände.
Umso schöner, dass Johanna, die ich zum Spiel eingeladen habe, sich freut, dabei zu sein. Wir arbeiten im Projekt „Kommunales Gesundheitsmanagement“ zusammen, sie für den Braunschweigischen Gemeinde-Unfallversicherungsverband und ich für Eintracht Braunschweig. Johanna ist zum ersten Mal bei einem Fußballspiel in Braunschweig dabei und ich kann sehen, wie ihre Blicke immer wieder vom Spielfeld zu den Aktionen neben dem Platz gehen; Choreo, Pyro, Hassgesänge, Bewegung bei den Einsatzkräften, Feuerwerkskörper Spielunterbrechungen. Das ist für das erste Mal schon eine ganze Menge. Leider wird die wunderschöne Choreo überdeckt von persönlichen Anfeindungen und Drohungen im Vorfeld.
Mentalsieger Braunschweig
Drei Punkte für die Tabelle, drei Punkte für die Einstellung zu Spiel und Gegner, drei Punkte für das Team in der Gesamtheit. Selbst Michael Schiele lief von der Trainerbank bis zur Eckfahne, um den Treffer zum 1:0 zu bejubeln. Die Eintracht wirkte insgesamt geschlossen.
Hannover hatte lange Zeit mehr Spielanteile aber unsere auch mental wieder erstarkte Abwehr stand sehr kompakt und das Umschaltspiel brachte für die Eintracht einige gute Chancen. Decarli war in der letzten Reihe nach seiner Verletzung wieder dabei und eine klare Verstärkung in einer 4-2-3-1-Aufstellung.
Noch 14 Punkte
Noch 9 Spieltage. 27 Punkte sind noch zu vergeben. Wir brauchen 14, das sollte reichen. Das sind die Fakten. Anders ausgedrückt, 4 Siege und zwei Unentschieden. Ohne das Spiel in dieser Qualität und ohne die Punkte aus dem Spiel gegen Hannover wäre die Ausgangssituation weitaus schwieriger. Dieser Mannschaft traue ich das aber zu! Das Team will den Klassenerhalt unbedingt, das spüre ich. Und das Gute: Wichtige Spieler sind auch wieder einsatzbereit.
Wo Matchplan?
…schreibt michel.hrm auf dem social media Kanal von Hannover nach dem Spiel über seine Mannschaft. Das ist noch eine sehr sportliche Auseinandersetzung mit der eigenen Mannschaft. Man könnte auch fragen: „Wo Gehirn?“ Denn anders reagierten die mitgereisten fanatischen Anhänger aus der Nachbarstadt: Fotos, die mir zugesandt wurden, zeigen aus den Wänden gerissene Urinale auf dem Gäste WC, im Feuer geschmolzene Sitzschalen, völlig zerstörte Sitzreihen in der Nordkurve. Da würde ich schon nicht mehr nach einem Matchplan fragen, da müssen ganz andere Dinge hinterfragt werden. Und eine Aufarbeitung ist dringend nötig. Viele werden sich überlegen, ob der Fußball in dieser Ausprägung noch aufrechtzuhalten ist. Was ist das für ein Vorbild für unsere Gesellschaft? Fanatiker können ungestraft Spieler und Zuschauer mit Feuerwerkskörpern beschießen oder Teile des Stadions anzünden. Familien mit Kindern sind nun die ersten, die sich einen Besuch im Stadion überlegen. Und weitere Besuchergruppen werden folgen.
Kumba will zur Eintracht
Domi Kumbela treffe ich vor der Partie im Businessbereich. Gemeinsam mit Deniz Dogan ist er hier, um „seine“ Eintracht zu unterstützen. In der Halbzeitpause steht er als Experte im Fernsehinterview. Nach dem Spiel sage ich zu ihm, er solle beim nächsten Mal wiederkommen, er bringe Glück und seine Unterstützung tue der Mannschaft gut.
Domi sagt, er komme gerne wieder, am liebsten in einer anderen, neuen Rolle bei Eintracht. Das war ein klares Motivationsschreiben für einen Job…
Ein weiterer Gewinner: Der Schiedsrichter
Schiedsrichter Patrick Ittrich aus Hamburg bekommt Beifall von den Rängen kurz bevor er sich in den Spielertunnel verabschiedet. Er bleibt kurz stehen mit seinen Assistenten, verneigt sich und tritt ab. Jederzeit hatte er das Spiel im Griff, Einzelaktionen moderierte er mit viel Kommunikation zwischen den Spielern und er benötigte nur drei gelbe Karten. Eine hervorragende Leistung des Schiedsrichterteams in dieser aufgeheizten Stimmung!
Mit dem Fahrrad entfernen Johanna und ich uns in Richtung „Östliches“ und atmen erstmal durch.