Hitze und Durst
Im Block gibt’s auch keine echten, handfesten Prognosen – einzig Jens redet standhaft von einem 3:0, er habe das geträumt. Ich frage, ob das tatsächlich ein Eintracht-Fußball-Traum war – ja doch, 3:0. Okay. Diese frohe Erwartung kann aber auch am nun langsam steigenden Bierkonsum liegen, denn bei dieser Hitze brauchst du viel Flüssigkeit …
Pressing 1
Anpfiff und los – das von Henrik Pedersen versprochene „hohe Pressing“ ist der Hammer. Hofmann und Bulut ackern in vorderster Front jedem Ball hinterher; sie attackieren bereits die gegnerischen Innenverteidiger massiv. Und vorne hat Tingager in der 10. Minuten eine dicke Kopfball-Chance, der KSC-Torwart aber kann was. Schon nach 15 Minuten aber frage ich mich, wie sie diese Power bei 36 Grad bis zum Ende durchhalten wollen … Insgesamt wirkt unser Spiel im Vergleich sowohl zur letzten Saison, als auch zum Mannheim-Testspiel, wie ausgewechselt: hohe Passsicherheit, keine wirkungslosen langen Bälle nach vorne, viele One-touch-Pass- Stafetten, die unser Spiel gut beschleunigen.
Angst
Schade nur, dass es nach 25 Minuten klingelt im Kasten von Mello Engelhardt: Ein Karlsruher haut einen Freistoß aus 25 Metern genau in den Winkel. Für einen kurzen Moment ist bei uns im Block die große Angst greifbar: Wie geht unser Jahr in Liga 3 aus? In dieser „Insolvenz-Liga“? Was passiert, wenn wir wegen des kompletten Neuaufbaus am Ende ungefähr 8. sind? Überleben wir zwei oder sogar mehr Jahre in der Dritten Liga?
Pressing 2
Die Mannschaft aber holt uns raus aus diesen trüben Gedanken, sie lässt sich von dem Gegentreffer nicht irritieren, sie bleibt aggressiv und konzentriert. Mir fallen dabei drei Blonde auf: Fürstner und Thorsen regieren im Mittelfeld, und Onur Bulut vorne. Dann auch noch Ivan Franjic, 20 Jahre alt, Rückennummer 20, letzte Saison noch bei Germania Halberstadt in Liga 4 unterwegs. Der wirbelt die KSCler, vor einigen Wochen noch auf dem Sprung in Liga 2, mächtig durcheinander.
Die Stimmung kocht
Nach 30 Minuten köpft Bulut an die Latte, und die Stimmung in der Südkurve und im ganzen Stadion kocht nun richtig hoch. Hier ist keiner mehr, der noch ans letzte Jahr denkt, alle wollen dieses Team auf dem Rasen pushen und in Liga 2 zurückschreien … Zunächst aber Halbzeit – Günter aus unserem Fanclub hatte neulich seinen 70. Geburtstag und wir stoßen hoffnungsvoll darauf und auf Eintracht-Tore an.
Onur Bulut
Wir haben uns gerade wieder warm gesungen in Hälfte 2, da klingelt’s: Onur Bulut, der Wirbelwind, ballert einen zu kurz abgewehrten Ball des KSC volles Mett in die Maschen. Ekstase und Erleichterung im Block – springen, schreien, abklatschen. Es fühlt sich wieder gut an, ein Eintracht-Spiel zu sehen und mitzuerleben. Wir schreien und singen weiter – heute zu siegen wäre das I-Tüpfelchen. Zugleich aber ist zu spüren, dass die Zuschauer tatsächlich geduldig sind mit dieser neuen Mannschaft – keiner um uns herum artikuliert überzogene Hoffnungen.
Unentschieden
Schlusspfiff, ein Punkt also gegen einen anderen Aufstiegsfavoriten. Die Mannschaft wird gefeiert vor Block 9 – oder besser: Man lernt sich dort mal kennen heute. Sie machen dann ihre Stadionrunde und wir jubeln ihnen zu. Das macht Lust auf mehr. Nun aber gehe ich noch analysieren und plaudern mit Martin aus München, wir treffen uns im Business-Bereich. Später landen wir dann noch im „Tresor“ am Bankplatz und aus meinem Smartphone scheppert Vivi Bach dazu: „Das Leben meint es gut mit Dänen und mit denen, denen Dänen nahe stehen …“. Als ich um halb zwei in der Nacht endlich daheim bin, mache ich noch das Foto, das ich mir vorgenommen hatte: Ich lege den Südkurvenecho-Titel mit der Drittliga-Meister-Silbertüte auf die Bundesliga-Meisterschale, die bei mir daheim an der Wand hängt. Denn irgendwo dazwischen, da gehört die Eintracht hin …
Kay-Uwe Rohn
I am looking forward
Ungewohnt, das rote Trikot von Bole. Im Interview wird er bei seinem neuen Verein Adelaide United F. C. in Australien vorgestellt. Er strahlt, aber ist sehr angespannt. Ich freue mich für Bole, er hat auf jeden Fall zwei weitere Fußballerjahre vor sich, lernt ein tolles Land kennen, lernt die Sprache und ist nah am Meer. Seine Antworten enden fast immer mit dem Satz: „I am looking forward.“ Es klingt wie ein Satz, an dem man sich festhalten will, festhalten kann. Wie nach einer überstandenen Katastrophe; man versucht, Halt zu finden und das Gute in der Zukunft zu suchen. „Bole, alles Gute für dich und ich freue mich auf ein Wiedersehen in der Fußballwelt.“
Pulverisierung einer Mannschaft
Beim Übergang oder Abgang in die dritte Liga sind keine Sentimentalitäten vorgesehen. Die Saison ist zu Ende, kurzfristige Entscheidungen sind zu fällen, Verträge haben keine Gültigkeit, das Team hat keine Chance. Kein Hoffnungsträger, keine Identitätsfigur, nur der Zuschauer und Fan kann sich nicht austauschen. Die Mannschaft ist fast noch so unbekannt wie die gegnerischen Teams. Umso wichtiger war ein motivierender Neuanfang, den Eintracht Braunschweig so noch nicht gesehen hat. Vielleicht kann Eintracht an einem spielfreien Wochenende in ein paar Monaten das abgestiegene Team zu einer eigenständigen Veranstaltung nach Braunschweig einladen und so noch einmal gemeinsam einen Schlussstrich ziehen.
„Mission Aufstieg“
Henrik Pedersen geht feinfühlig aber bestimmt an diese Aufgabe. Als er die Mannschaft bei einer Veranstaltung des Sponsorenpools vorstellt, spürt man seine Qualitäten im menschlichen aber auch im sportlichen Bereich. Er hat viele Gespräche geführt, er weiß, was er will und was er nicht will und die neuen Spieler sind wirklich angesteckt. Das Marketing drückt das Fordern des Trainers martialisch aus: „Mission Aufstieg“ heißt es da. Das heißt für mich, alle, die Mannschaft, das Funktionsteam, Verwaltung, Präsidium, Aufsichtsrat und die Fans haben dieses Ziel vor Augen. Alle Aktivitäten zahlen darauf ein. Ich unterstütze das.
Tribünenplatz
Mein Tribünenplatz ist auf der wunderschönen Insel Ærø mit Blick auf eine kleine Inselgruppe, Meer und historische Badehäuschen. Vielleicht ja ein gutes Zeichen, dass ich den Saisonstart in Dänemark miterlebe, denke ich. Rainer ist irgendwo in Italien. Wir versuchen beide herauszufinden, wie wir das Spiel digital mitverfolgen können und sprechen uns ab. Telekom Sport scheint der Weg zu sein. Beide versuchen wir, uns mit Zugangsdaten, Kennwörtern und Benutzernamen in dem Dschungel der Digitalen Transformation zurecht zu finden. Buchen kann ich, aber sehen kann ich nichts, immer wieder werde ich in eine neue Verknüpfungsschleife geschickt. Die Geduld wird extrem auf die Probe gestellt, nichts funktioniert bei der Installation. Folgerichtig, Hilfestellungen werden nicht gegeben. Oder liegt es doch an mir? Rainer geht es genauso und um 18:56 ergeben wir uns in das Liveticker-Schicksal.