Ein Eintracht-Fan vor dem Tor des Stadiongeländes. Malte Schumacher

Stadionfunk Eintracht Braunschweig:
Michael, der Magier

Am Samstag war der TSV 1860 München zu Gast im Eintracht-Stadion. Das versprach Drittliga-Spitzenfußball, gute Laune und mindestens ein Wiedersehensbier im Stadion. Malte Schumacher und Kay Rohn berichten.

So schnell kann’s gehen…

Nach der 0:4-Klatsche gegen Viktoria Berlin am 1. August war ich komplett bedient, denke ich am Frühstückstisch mit dem Blick auf den Matchday-Artikel und die Tabelle in der Braunschweiger Zeitung. Anfang August hatte ich noch das Horror-Szenario einer „Pedersen-Episode“ vor Augen, als in der Saison 2018/19 nach 8 Punkten aus 11 Spielen der gerade gekommene Trainer auch schon wieder entlassen wurde. Und heute, nur drei Wochen später, sind wir mit drei Siegen am Stück (ohne Gegentor!) mit 10 Punkten Tabellenfünfter. Und Danilo Wiebe ist laut BZ überzeugt: „Es wächst etwas zusammen“.
 

Kann der Trainer zaubern?

Worauf aber ist diese schnelle Verbesserung zurückzuführen? Kann unser neuer Trainer Michael Schiele zaubern? Ja, es gibt ein eindeutiges Indiz dafür, dass er übersinnliche Kräfte hat: In der Saison 2017/18 kam Orhan Ademi bei den Würzburger Kickers auf 19 Scorer-Punkte – sein Trainer damals war Michael Schiele. Damit steht für mich fest: Schiele schafft Unglaubliches…

Ein Eintracht-Fan vor dem Tor des Stadiongeländes. Malte Schumacher
Vor dem Südkurveneingang: Endlich wieder ins Stadion!

Eineinhalb Jahre Zwangspause

Etwa 8.000 Zuschauer dürfen es heute wohl insgesamt werden, auch 500 Gäste-Fans werden erwartet – das fühlt sich schon ein wenig so an wie vor der Pandemie. Wann eigentlich habe ich mein letztes Spiel unter normalen Umständen im Stadion erlebt? Ich muss lange nachdenken und recherchieren am Frühstückstisch: am 15. Februar 2020, 2:0 gegen Kaiserslautern… Alter Schwede, vor eineinhalb langen Jahren war ich also zuletzt mit den Mädels und Jungs in unserem Block 6.
 

Wie wohl die Stimmung sein wird?

Gegen 12.00 Uhr radele ich los – und ich bin sehr gespannt, ob auch Stimmung und  Atmosphäre rund um das Spiel schon wieder vor-pandemischen Charakter haben. Na ja, auf dem Mittelweg ist deutlich weniger blau-gelber Alarm wahrnehmbar als früher. Erst am Nibelungenplatz empfängt mich Heimspiel-Stimmung, vor der „Denk Bar“ ist schon gut was los, ebenso vor dem Südkurven-Eingang. Dort schließe ich mein Fahrrad an und spaziere die Rheingoldstraße runter in Richtung Shell-Tanke.

Eintracht-Fans in der Braunschweiger Rheingoldstraße. Malte Schumacher
In der Rheingoldstraße sieht es fast normal aus.

Zuversicht und gute Atmosphäre in der Rheingoldstraße

Wenn ich mich hier umschaue, dann fühlt sich das schon ganz gut an: Oben an der Shell-Tanke treffe ich auf Alex und seine Freunde. Alex heiratet am 11. September und nutzt den heutigen Matchday für seinen Junggesellenabschied. „3:0“ antwortet er auf meine Frage nach seinem Ergebnis-Tipp. Von drei Eintracht-Buden ist auch Dirk vom Fanclub „Aaantracht miene Leiwe“ überzeugt, den ich bei Angela und Mex treffe – voller Überzeugung reckt er drei Finger in die Luft.

Zwei Männer im Vorfeld des Eintracht-Stadions. Malte Schumacher
Junggesellenabschied für Alex: Heute feiert er im Stadion.

Die Erwartungen sind schon wieder groß…

Vor dem FanRat-Wagen an den Südkurven-Kassenhäuschen steht Pöödy von „Eintracht Inklusiv“ – auch er ist siegessicher: „3:1 für uns“. Kurz danach begegnet mir vor dem Aufgang zu Block 6 noch die junge Katharina, auch sie tippt auf Heimsieg: „2:1“. Alter Schwede – hoffentlich drehen die Fans mit ihren Wünschen und Erwartungen nicht schon wieder durch nach drei Siegen in Folge… Ich habe ein wenig Muffen und Respekt vor 1860 – wie hatte York gestern Abend gesagt: „Ich habe ein mulmiges Gefühl, 1860 kann was…“. Sehe ich auch so.

Zwei Frauen in Eintracht-Trikots. Malte Schumacher
Katharina (links) sagt optimistisch voraus: 2:1 für Eintracht.

Lang ersehnte Wiedersehens-Biere

Oben im Block bin ich dann erstmal sehr glücklich, wieder hier sein zu können, und lasse meine Blicke schweifen. Eineinhalb Jahre hatte ich diese meine gewohnte Block 6-Perspektive nicht – und da fehlte mir richtig was… Volker, Günter und Ralf sind da vom Fanclub – die anderen stecken wohl noch im Urlaubs-Modus. Wir vier freuen uns und genießen den Moment. Bier holen ist heute umständlicher als sonst – unsere Theke unten an Block 6 ist noch dicht. An der nächsten Bierbude ist der Andrang entsprechend groß – egal, für die lange entbehrten Wiedersehens-Biere nehme ich das in Kauf.

Junges Gemüse auf der Bank

Endlich auch wieder Eintracht-Fachsimpelei: Wer spielt, was kann der Gegner? Unsere Aufstellung ist copy and paste, sagt Mex – ja, angesichts der Verletzungen und des eher kleinen Kaders sind das die erwartbaren elf Spieler heute. Koby wieder auf der Bank – mit seiner eher langsamen, kraftsparenden Spielweise passt er nicht so richtig in dieses Team der jungen Wilden. Neben Koby sitzen mit Consbruch, Stumpe, Kischka und Kleeberg gleich vier 19jährige Burschen…. Wow, das ist mutig vom Trainer.


In Gedanken bei „Klusi“

Vor dem Anpfiff legt Jasmin Fejzic noch einen Blumenstrauß vor Block 9 nieder – dort wird heute des viel zu jung verstorbenen Fans „Klusi“ gedacht. „Einmal Löwe, immer Löwe“ – Klusi, auch wir denken an Dich und Deine Familie. Große Geste von Jassi, der auf seinem Weg zurück dafür gefeiert wird. Anstoß, los geht’s – eineinhalb Jahre Verzicht gehen zu Ende. Unser Fußball sieht gut aus in den letzten Wochen, aber logisch, der Trainer kann ja zaubern…

Bär ballert daneben

1860 aber kann auch was, diese Befürchtung bekomme ich bestätigt. Das ist ein 4-1-4-1-System mit Möders als einziger Spitze und den ehemaligen Braunschweigern Biankadi und Bär auf den offensiven Außenbahnen. Zudem laufen die 60er unsere Jungs hoch und früh an, was diesen deutlich zu schaffen macht. Klare und gefährliche Aktionen nach vorne haben wir kaum, 1860 erstickt zunehmend unseren Spielfluss. Das machen die gut. In der 31. Minute sehe ich den Ball schon in unserem Tor, Marcel Bär hat sich freigeschlichen in unserem 16er, wird passgenau bedient – und trümmert den Ball aus 11 Metern an die Latte.
 

Drei einfache Dinge in der Kabine

Durchatmen, Halbzeit-Pause, Bier holen. Jetzt schon wechseln? Puh, der Blick auf unsere Bank eröffnet nicht wirklich neue Perspektiven. Der Trainer muss den Jungs jetzt durch sein Kabinen-Coaching erfolgreichere Wege aufzeigen. Wie schreibt Massimiliano Allegri, aktuell Trainer bei Juventus, in seinem neuen Buch über die Möglichkeiten des Trainers in der Pause: „Es ist wichtig, den Spielern nicht mehr als drei einfache Dinge zu sagen“ – mehr können sie seiner Erfahrung nach in solchen Momenten nicht verarbeiten.
 

Eintracht macht wieder Spaß!

So wie es aussieht nach Wiederbeginn, beherrscht Michael Schiele auch diese Disziplin. Die Jungs bleiben im Spiel, sie versuchen weiterhin, guten Fußball zu spielen. Das haben wir im letzten Jahr eher selten gesehen – ich genieße auch das sehr. Spieler wie Multhaup, Nikolaou und Zauner können was mit dem Ball – das macht Spaß. Auch der neulich ganz frisch reingeworfene Mittelstürmer Lauberbach ist technisch super ausgebildet, er erinnert mich ein wenig an Philipp Hofmann.
Und hinten immer wieder zwei Türme in der Schlacht: Behrendt, Schultz – und wenn es was auf den Kasten gibt, ist Jassi da.
 

Fehlentscheidung und Elfmeter

Unsere Prognose pendelt sich langsam beim 0:0 ein – den Sechzigern gehörte die erste Hälfte, wir waren im zweiten Durchgang stärker. Dann aber meint der Schiri einen Elfer für die Sechziger pfeifen zu müssen, in der 89. Minute.
Von unser Warte aus, einmal quer über über den Platz geschaut, kann das ein Handspiel von Schultz gewesen sein. Via WhatsApp trudeln allerdings sofort die Fehlentscheidungs-Meldungen der TV-Glotzer rein… Schade, das nervt. Kann Jassi halten? Nein, Mölders versenkt. Und nun? Schiele wechselt sofort: Koby, Mai und Stumpe kommen.


Aufgeben gibt’s nicht!

Die Mannschaft bleibt giftig, dieser Tiefschlag so kurz vor Schluss haut sie nicht um – das ist stark. Koby zwingt mit einem super Freistoß in der 91. Minute Torwart Hiller zur nächsten Glanzparade – nochmal Ecke für uns. Auch die tritt Koby, findet am kurzen Pfosten Behrendt und von dessen Hinterkopf/Nacken/ist mir doch egal geht das Ding am langen Pfosten ins Tor der Sechziger.
Bier-Dusche, Spingen, Ekstase, Geschrei, Abklatschen – was für ein Drama, was für ein Glück, was für eine Freude! Auch unser Trainer geht steil am Spielfeldrand… Schlusspfiff – das ist ein gefühlter Sieg für diesen verschworenen Haufen in blau-gelb. Und ja, Danilo Wiebe hat recht: Hier wächst offensichtlich etwas zusammen.

Die Analyse (Kay Rohn):

Löwenwächter

Löwen überall, Löwen in blau-gelb, Löwen in hellblau, auf dem Platz in dunkelblau und Löwen auf den Mülltonnen als Empfangskomitee. Eine, wie ich finde, angenehme und freundliche Begrüßung der Zuschauer aus München durch Stefan Lindstedt, der ausdrückte, dass wir uns freuen, endlich wieder Gästefans in Braunschweig zu haben. Marcel Bär wird in der Aufstellung der Münchener persönlich begrüßt. Sehr charmant, wenn beide Fanlager fordern „steht auf, wenn ihr Löwen seid”. Das hat etwas von absurdem Theater. Bringt aber auch etwas Nähe in eine Partie mit hoher Intensität.

Zwei Mülltonnen mit Löwenkopf-Aufdruck. Kay Rohn
Löwenwächter vor dem Tempel: Eine angemessene Begrüßung der Gästefans der „Sechziger“.

Bär gegen Löwe

In der 31. Minute hätte der Neu-Münchener und Alt-Braunschweiger Marcel Bär fast getroffen. Marcel Bär, der hier in Braunschweig noch viele Sympathien besitzt, hätte nach einer halben Stunde fast den ersten Nadelstich setzen können. Er donnerte eine Direktabnahme im Strafraum gegen die Latte, Fejzic hatte keine Chance in dieser Situation. Nach guten Szenen wurde Bär in der 76. Minute ausgewechselt. Ich würde sagen, Bär gegen Löwe: Unentschieden.

Gute Neuzugänge, mehr Punkte

Im letzten Blogbeitrag nach dem Pokalspiel gegen den HSV hatte ich mir 8 Punkte aus den Spielen gegen Halle, Zwickau, Verl und München gewünscht und jeweils gute kämpferische Leistungen. Nun sind es nicht 8 Punkte, sondern 10 Punkte geworden. Michael Schiele hat eine feste Formation gefunden, mit Behrendt in der Abwehrkette und mit Nikelaou und Krauße direkt davor. Bei Wiebe sehe ich das Potenzial, auf die Sechserposition vorzurücken und die rechte Seite Görlich zu übergeben. Bei einer Sperre durch gelbe Karten kann so eine Umstellung auch in naher Zukunft nötig sein.

Vorne sind Neuzugänge gekommen, die einen sehr guten Eindruck machen. Sie überzeugen durch technische Fähigkeiten, kombiniert mit Schnelligkeit. Das Mannschaftsspiel lebt wieder und atmet. Es ist nicht mehr nur mit langen Bällen auf Proschwitz oder nur auf einen Spielmacher wie Kobylanski als 10er ausgerichtet. Wir haben jetzt viel mehr Möglichkeiten, das Spiel zu entwickeln. Und alles aus einer sicheren Abwehr heraus.

Am Anfang ist es Spaß…

Ich glaube, es macht der Mannschaft Freude, so zu spielen. Zauner wechselt mit Multhaupt munter von der linken auf die rechte Seite wie einst Bellarabi mit Salim Kehlifi. Es macht ihnen einfach Spaß, das ist ihnen anzusehen. Und damit steigt auch der Einsatzwille. Der Trainer lebt das vor. Er ist 90 Minuten konzentriert bei der Mannschaft, fiebert bei jeder Aktion mit. Er gestikuliert, springt, rennt an der Seitenlinie entlang, als wenn seine Aktivitäten in das Ergebnis mit einfließen würden. Michael Schiele ist auf jeden Fall in Braunschweig angekommen.

Eintracht-Fans aus Südafrika und Kanada

Wie wird Eintracht eigentlich in der Welt gesehen. Stefan, den ich aus unserem XXL-Kick bei Eintracht kenne, hat Pedro aus Südafrika und Gonzales aus Kanada mitgebracht. Sie sind alle an dem großen Projekt von Tesla in Brandenburg beteiligt. Stefan hat die beiden nach Braunschweig eingeladen, für jeden ein Trikot erstanden und so gleich zwei neue Braunschweiger Fans geworben. Wir unterhalten uns über portugiesische Wunderstürmer, das Spiel und die schöne Atmosphäre hier im Stadion und auch hinterher. Vielen Dank für den Besuch, Pedro und Gonzalez! Und kommt wieder!
 

Die Top Ten als Ziel

Was kann Eintracht in den nächsten Wochen erreichen? Ich meine, sechs Punkte aus den nächsten drei Spielen sind machbar.  Es wird interessant, wie die junge Mannschaft die Spielpause nutzt beziehungsweise verkraftet. Vielleicht kommt Henning zurück, ein ganz entscheidender Spieler für mich. Er ist pausenloser Motor unserer Angriffsmaschine, im Zusammenspiel mit den neuen Stürmern sehe ich eine sehr wirkungsvolle Ergänzung in unserem Spiel. Auf jeden Fall gehe ich davon aus, dass wir uns bis zum Winter unter den ersten zehn der Liga festsetzen.

1:1 im Löwenkampf

Das Unentschieden war natürlich ein Punktgewinn. Aber vor allem ein moralischer Sieg für unsere Mannschaft. Welches Team geht schon davon aus, noch Punkte zu verlieren, wenn sie zwei Minuten vor Schluss den Führungstreffer geschossen hat? Unser Team aber schnappt sich den Ball holt noch einen Freistoß und einen Eckball heraus. Michael Schiel wechselt nach dem Tor der Gäste noch drei Spieler aus und wechselt auch Kobylanski ein. Und aus seinem Eckball entsteht der Treffer zum Unentschieden. Das nennt man dann ein „goldenes Händchen“.