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Der RE 70 ist eingefahren. Beate Ziehres

Das ÖPNV-Experiment
Selbstversuch einer Bloggerin

Im Februar wird es langsam Zeit, sich um die guten Neujahresvorsätze zu kümmern. Dachte sich Beate Ziehres. Deshalb startete sie ein Experiment: Kann der Öffentliche Personennahverkehr, kurz ÖPNV, halten, was die Werbung verspricht? Klimaneutrale, staufreie und (immer öfter) pünktliche Fortbewegung zwischen A und B?

Ein Dienstagmorgen, 8.45 Uhr, Braunschweig Hauptbahnhof. Ein guter Ort, um gleich mehrere meiner Vorsätze für 2024 realisieren:

  • Nachhaltiger leben

  • Mein betagtes Auto schonen

  • Mehr Bewegung an der frischen Luft

  • Meine Zeit effektiver nutzen

Das ruft geradezu schon nach ÖPNV. Mein Plan für heute ist, den Tag mit einer lieben Freundin in Peine zu verbringen und anschließend bei ihr in Vechelde zu übernachten. Morgen Vormittag will ich direkt von Vechelde aus zu einer Redaktionsbesprechung in Braunschweig fahren. Alles mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich bin gespannt, wie viele meiner Vorsätze ich direkt umsetzen kann.

Heute früh habe ich anstatt des Autos das Fahrrad aus der Garage geholt, um zum nächsten Bahnhof zu fahren. Mit der richtigen Ausstattung ist es erstaunlicherweise gar nicht so kalt auf dem Rad. Hinzu kommt, dass Bewegung und frische Luft am Morgen wie ein Energiestoß auf mich wirken. Check. Schon zwei Punkte abgehakt.

Alles klappt. Ich bin pünktlich in Braunschweig am Hauptbahnhof und staune erst einmal. Die Unterführung zu den Gleisen wurde neugestaltet. Was früher düster und auf mich schon etwas bedrohlich wirkte, ist jetzt hell, freundlich und übersichtlich. Auch der Ausgang zum Parkplatz Süd wurde offensichtlich neugestaltet. Automatische Glastüren und ein sauberes Umfeld sorgen bei mir für ein angenehmes Gefühl von Sicherheit.

Der von der Westfalenbahn betriebene RE 70 fährt aus Bielefeld kommend ein. Bevor er wieder zurückfährt, hält er einige Minuten am Gleis. Ich kann entspannt einsteigen und mir einen Platz suchen. Schließlich will ich die Fahrzeit – wenn es auch nur 19 Minuten sind – nutzen, um an einem Text weiterzuschreiben.

Da entdecke ich zu meiner Überraschung eine alte Bekannte im Zug! Kristin Kunath arbeitet schon seit einigen Jahren in der Kommunikation des Regionalverbands Großraum Braunschweig. Natürlich erzähle ich ihr von meinem gerade laufenden ÖPNV-Selbstversuch!

Kristin Kunath und Bloggerin Beate Ziehres im ÖPNV. Kristin Kunath
Zufälliges Treffen im Zug: Kristin Kunath und Bloggerin Beate Ziehres.

In nur 9 Minuten – mehr Zeit bleibt uns nicht, denn Kristin muss in Vechelde aussteigen – hecken wir einen Plan für den nächsten Tag aus. Kristin will mich mit einer Kollegin zusammenbringen, die als Teamleiterin „Bus“ in der Abteilung Verkehrsplanung des Regionalverbandes arbeitet. Während der Fahrt von Vechelde nach Braunschweig kann ich mit Susanne Koch über ihr komplexes Aufgabenfeld im ÖPNV sprechen. So der Plan. Schon wieder Check! Diese 9 Minuten Fahrzeit waren sehr effektiv, obwohl ich den Laptop nicht einmal ausgepackt habe. Ganz der Werbung entsprechend komme ich klimaneutral, pünktlich und staufrei in Peine an.

Unschlagbar günstig zum Arbeitsplatz mit dem D-Job Ticket

Mittwoch, 9.10 Uhr, Bahnhof Vechelde. Susanne Koch wartet schon am Bahnsteig auf mich. Sie hat freundlicherweise einen Zug früher genommen, damit uns etwas mehr Zeit für das Gespräch bleibt. Susanne pendelt jeden Tag mit dem ÖPNV von Hannover nach Braunschweig, selbstverständlich mit der Bahn. Sie sagt, sie sei deutlich schneller als mit dem Auto an ihrem Arbeitsplatz. Zudem kommt Susanne entspannt an. Die Fahrt mit dem Fahrrad zum Bahnhof und abends zurück nach Hause genieße sie sehr, verrät sie.

Wir kommen schnell auf den Preis für das Vergnügen zu sprechen und ich staune nicht schlecht: Für unschlagbar günstige 26,55 Euro fährt Susanne einen Monat lang deutschlandweit Bahn und Bus– mit dem „D-Ticket Job“. Wie der Preis für das Job-Abo letztlich ausfällt, hängt vom Beitrag des Arbeitgebers ab: 25 Prozent vom Grundpreis sind dafür mindestens notwendig, doch viele Unternehmen gehen weit darüber hinaus, um ihren Mitarbeitern einen attraktiven Vorteil zu bieten - so auch der Regionalverband. Mit zusätzlichen 5 Prozent vom VRB (Verkehrsverbund Region Braunschweig) zahlt der Pendler aber maximal 34,30 Euro für seine bundesweit gültige Monatskarte. Noch günstiger sind Studierende unterwegs: Sie zahlen ab Wintersemester 2024/25 29,40 Euro monatlich für das „D-Ticket Studierende“.

Susanne könnte für einen geringen Aufpreis auch ihr Fahrrad im Zug mitnehmen. In Anbetracht der sicheren Abstellmöglichkeiten an den Bahnhöfen hat sie sich aber für die bequemere Variante entschieden. In Braunschweig hat sie ein zweites Fahrrad deponiert. Sie verspricht, mir bei der Ankunft den Fahrradkeller am Bahnhof zu zeigen, bevor sie ins Büro radelt.

Verspätung! Eine Alternative kommt zum Zug

Während Susanne erzählt, fallen mir zwei Dinge auf: Unser Zug, der eigentlich um 9.30 Uhr abfahren soll, wird mit 20 Minuten Verspätung angekündigt, steigende Tendenz. Dafür herrscht vor dem Bahnhof reger Busverkehr. Hier bewegt sich was, im Gegensatz zur Stille auf dem Gleis in Richtung Braunschweig. Ob der Bus eine Alternative zur Bahn ist? Der ÖPNV-Test steht vor seiner ersten Belastungsprobe.

Susanne wirft ein Blick auf die VRB-App und stellt fest: Um 9.39 Uhr fährt ein Regio-Bus direkt nach Braunschweig. Ich habe etwas Bedenken, ob mein bereits gelöstes VRB-Tagesticket auch im Bus gilt. Doch Susanne beruhigt mich. Das Ticket gilt für alle öffentlichen Verkehrsmittel im Bereich des Verkehrsverbunds Region Braunschweig. Puhh!

So entschließen wir uns, den Regio-Bus 450 zu nehmen. Der Bus fährt zwar länger als die Bahn, aber ich habe etwas Puffer eingeplant und werde trotzdem pünktlich zur Redaktionsbesprechung kommen. Eine Rollstuhlfahrerin, mit der wir am Bahnsteig ins Gespräch gekommen sind, wartet auf den verspäteten Zug. Obwohl der Bahnhof Vechelde barrierefrei umgebaut wurde und beispielsweise über einen Tunnel unter den Gleisen hindurch verfügt, benötigt sie zum Einstieg in die Westfalenbahn eine Rampe, die im Voraus bestellt werden muss. Die Dame hat den Bedarf schon angemeldet und bleibt deshalb bei ihrem ursprünglichen Plan.

„Wir haben die Schiene als Hauptverkehrssystem, dazu Regio-Buslinien, die größere Städte verbinden und lokale Verkehre in den Städten und Landkreisen sowie das Bedarfsangebot ‚flexo’. Für die Menschen ist es wichtig, eine Bushaltstelle in der Nähe ihrer Wohnung zu haben und pünktlich an einem Bahnhof anzukommen, um in einen Regio-Bus oder einen Zug umzusteigen. Dies alles soll im ÖPNV bei möglichst kurzen Wegen und kurzen Wartezeiten möglich sein.“

Verkehrsplaner wie Susanne Koch müssen bei der Gestaltung des Fahrplans individuelle Mindestumsteigezeiten berücksichtigen. Manchmal muss zum Beispiel auf dem Weg zwischen Bushaltestelle und Gleis an einer Fußgängerampel gewartet oder wie in Vechelde die Gleisanlage unterquert werden.

„Optimal ist, wenn auch einmal ein Bus auf einen verspäteten Zug warten kann. Solche Pufferzeiten können aber im Interesse der Fahrgäste nicht unendlich ausgedehnt werden.“

Susanne Koch, Verkehrsplanerin beim Regionalverband

Zu Susannes Aufgaben gehört auch die Abstimmung mit anderen Verkehrsbetrieben wie beispielsweise der KVG, der BSVG oder eben der Westfalenbahn. Insgesamt arbeitet der Großraumverband mit 20 Verkehrsbetrieben zusammen. Im Gespräch mit den Kommunen müssen die Verkehre „überplant“ werden, wie Susanne es nennt.

Zufälliges Treffen im ÖPNV: Kristin Kunath und Bloggerin Beate Ziehres. Kristin Kunath
Gespräch im Zug: Susanne Koch (rechts) und Bloggerin Beate Ziehres.

Emissionsarmer Kraftstoff für Busse und Bahn

Beim Blick aus dem Fenster des Regio-Busses sehe ich Ortsnamen, von denen ich niemals zuvor gehört habe. Und ich soll gleich noch mehr lernen. Denn Susanne bringt das Gespräch auf einen Versuch in Baddeckenstedt. Hier betreibt die Regionalbus Braunschweig GmbH (RBB) seit Februar 2024 zwölf Busse mit dem alternativen Kraftstoff HVO (Hydrotreated Vegetable Oil). Damit kann der Kohlendioxidausstoß im Vergleich zum Dieselbetrieb um 90 Prozent reduziert werden!

HVO wird ausschließlich aus biologischen Reststoffen und Abfällen hergestellt – und natürlich ohne Palmöl. So tritt die Produktion dieses Biodiesels nicht in Konkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelerzeugung. Die Dieselfahrzeuge im ÖPNV müssen technisch nur geringfügig angepasst werden. Die Bahn, die HVO bereits seit längerer Zeit als Treibstoff für Dieselloks nutzt, betrachtet HVO als Brückentechnologie und als zentralen Baustein der Dekarbonisierung des öffentlichen Verkehrs. Super Sache!

Der Regionalverband unterstützt das HVO-Projekt in Baddeckenstedt finanziell und erwartet gespannt die Ergebnisse des Versuchs. „Wenn der Versuch erfolgreich ist, würden wir den alternativen Kraftstoff gerne auch nutzen, um mehr für die Klimaneutralität zu tun und europäische Vorgaben erfüllen zu können“, sagt Susanne. 

Am Bahnhof in Braunschweig begleite ich Susanne in die Fahrradgarage im Tiefgeschoss. Die Anlage wird von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) betrieben. Für 10 Euro monatlich stellt sie hier ihr Zweitfahrrad trocken und sicher ab.

Moderne Informationssysteme für die Fahrgäste

Als Susanne sich verabschieden will, erspäht sie ihren Kollegen Jasper Märtens. Der Digitalisierungsexperte beim Regionalverband stellt gerade einen türkisfarbenen Miet-E-Roller an einem dafür vorgesehenen Platz ab und checkt per App aus. Zufälligerweise will Jasper – wie ich – mit der Straßenbahnlinie 5 weiterfahren.

Jasper arbeitet im Verkehrsteam, das Projekte zur Fahrgastinformation vorantreibt – ein riesiges Feld, wie ich jetzt erfahre. Die Fahrgastinformation via Monitor an rund 460 Haltestellen in der Region Braunschweig fällt beispielsweise unter diesen Aufgabenbereich. Die DFI-Monitore (DFI steht für dynamische Fahrgastinformation) zeigen immer aktuell an, welche Linie in wie viel Minuten ankommt. 

Susanne Koch, Jasper Märtens und Beate Ziehres unter dem DFI-Monitor am Bahnhof in Braunschweig. Kristin Kunath
Susanne Koch, Jasper Märtens und Beate Ziehres unter dem DFI-Monitor am Bahnhof in Braunschweig.

Die DFI-Monitore arbeiten mit Echtzeitdaten, die von den einzelnen Fahrzeugen, seien es nun Straßenbahnen, Busse oder Züge, per GPS generiert und automatisch geliefert werden. Die Echtzeitdaten werden zentral an die Datendrehscheibe der Länder Bremen und Niedersachsen gesendet und von dort in Echtzeit zurückgeleitet – direkt auf die Anzeigen und Apps für die Fahrgäste. Auch die Ankündigung, dass eine Tram Verspätung hat, entsteht auf diese Weise.

„Mein Job ist, das Ganze zu koordinieren. Ich mache das ja nicht alleine, sondern mit unseren Partnerinnen und Partnern beim Verkehrsverbund und bei den Verkehrsunternehmen. Im Grunde bieten wir die Plattform, also die Fahrplanauskunft, Apps und die Monitore, und die Unternehmen liefern die Daten. Im Regelfall muss aber niemand manuell eingreifen.“

Jasper Märtens, Digitalisierungsexperte beim Regionalverband

Als die Straßenbahn der Linie 5 einfährt, steigen wir ein. Jasper erzählt, dass er sein Auto schon vor vielen Jahren verkauft hat. Er wohnt in Innenstadtnähe und ist sehr flexibel, was die Verkehrsmittel angeht. Meistens sei er mit dem Fahrrad unterwegs, sagt er. Wenn er beispielsweise Kuchen für die Kollegen gebacken hat, nimmt er die Straßenbahn oder den Bus. Wenn das Fahrrad kaputt ist oder es ganz schnell gehen soll, schnappt er sich einen E-Roller. Auch wenn größere Einkäufe oder ein Ausflug aufs Land anstehen, bleibt Jasper cool. „Wir haben in Braunschweig viele Car-Sharing-Stationen. Wenn ich ein Auto brauche, miete ich mir einfach eines“, erklärt er. Die passende App hat Jasper natürlich auf dem Smartphone.

„Im Alltag komme ich so gut zurecht. Hier zahlt sich aus, dass ich innenstadtnah wohne. Unter Einbeziehung aller Möglichkeiten bekomme ich einen nachhaltigen, multimodalen Mix hin. So nennt man die Kombination unterschiedlicher Transportmittel. Jedes Verkehrsmittel hat seine Stärken und man kann sie für sich nutzen.“

Jasper Märtens, Digitalisierungsexperte beim Regionalverband

Das digitale Ticket - per FAIRTIQ-App

In der Straßenbahn zeigt mir Jasper noch die neueingeführte FAIRTIQ-App zur unkomplizierten und fairen Bezahlung der Fahrt Im VRB-Gebiet. Mit dieser App braucht man sich keine Gedanken mehr zu machen über Tarifzonen, Preisstufen und Ticketkauf. Es genügt, beim Einsteigen die Schaltfläche der App auf Grün zu schieben und schon hat man eine gültige Fahrkarte in Form eines Barcodes. Die App rechnet den richtigen Fahrpreis ab. Hat man den Preis einer Tageskarte erreicht, wird diese abgerechnet. Die Bezahlung erfolgt bargeldlos. „Das System erkennt die gefahrenen Strecken anhand der Standortermittlung im Smartphone“, erklärt Jasper. Ich muss sagen: Das gefällt mir! Super Sache gerade für (noch) Gelegenheitsfahrer wie mich: Diese App werde ich mir mit Sicherheit holen.

Am Europaplatz steigen wir aus. Längst haben Jasper und ich festgestellt, dass wir beinahe das gleiche Ziel haben. Meine Redaktionsbesprechung findet in der unmittelbaren Nachbarschaft des Regionalverband-Sitzes in der Frankfurter Straße statt.

 Auf dem Weg stößt Manja Kuhn zu uns. Sie ist mit dem Regio-Bus 620 aus Salzgitter-Thiede zum Europaplatz gekommen. Manja schätzt die Häufigkeit und Schnelligkeit der Verbindung im ÖPNV und den Vorteil, in der Frankfurter Straße keinen Parkplatz suchen zu müssen. In Thiede nutzt die Pendlerin, die beim Regionalverband für die Planung des Schienennahverkehrs zuständig ist, den flexo, um zum Busbahnhof zu kommen.

„Der flexo ist ein On-demand-Verkehr, er fährt also auf Bestellung. Ich melde per flexo-App einen Fahrtwunsch an. Das System prüft den Wunsch und macht einen oder mehrere Vorschläge. Der flexo, ein barrierefreier Kleinbus, kommt dann zur verabredeten Zeit zum besonders gekennzeichneten flexo-Stopp. Man kann ihn mit dem normalen Ticket nutzen. Man kann sogar Dauerbuchungen anlegen, wenn man beispielsweise als Pendler den flexo regelmäßig nutzt.“

Manja Kuhn, Planung Schienennahverkehr beim Regionalverband

In der Frankfurter Straße verabschiede ich mich von Manja Kuhn und Jasper Märtens. Das Experiment mit den Öffis würde ich als gelungen bezeichnen. Die Fahrt war kurzweilig, ich habe die nette Unterhaltung genossen und sehr viel Neues erfahren. Da ich keinen Parkplatz suchen musste und nicht im Stau stand, bin ich pünktlich da. Und das Beste: Ich komme gewissermaßen mit einer fertigen Geschichte zur Redaktionskonferenz. Generiert während der emissionsarmen Fahrt zum Termin. Wenn das nicht nachhaltig und effizient ist!