Ehemalige Kasernengebäude unter einem strahlend blauen Himmel. Uli Hiestermann

Goslar:
Modern wohnen in denkmalgeschützten Mauern

Die Altstadt von Goslar mit ihren mehr als 1500 Fachwerkhäusern ist UNESCO Welterbe und bei Touristen entsprechend beliebt. Doch wie wohnt es sich in der mehr als 1000 Jahre alten Bergbaustadt? Ich spreche mit Dirk Felsmann, der in Goslars historischem Gebäudebestand 400 moderne Mietwohnungen schafft.

Ein Mann mit Brille sitzt auf einem Stuhl. Sebi Behrens
Dirk Felsmann stellt sich am ehemaligen Fliegerhorst in Goslar den besonderen Herausforderungen. Er entwickelt dort Wohnraum mit der Planungsgesellschaft Dr. Meinhof und Felsmann.

Enge Gassen und verwinkelte Strukturen prägen die Innenstadt von Goslar, die Treppenhäuser sind schmal und die Fenster klein. „Das Wohnungsangebot in Goslar ist anders, aber der Geschmack der Mietinteressenten unterscheidet sich nicht von dem in anderen Orten“, hat Projektentwickler und Investor Dirk Felsmann festgestellt.

„In den alten Gebäuden im Zentrum funktionieren moderne Grundrisse nicht. Das Wohnungsangebot in der Altstadt schrumpft eher, als es wächst.“ Mit dem Konzept, komfortablen Wohnraum mit modernen Grundrissen in alten oder denkmalgeschützten Gebäuden zu schaffen, schließt sein Unternehmen Dr. Meinhof und Felsmann die Lücke.

In seinem früheren Leben, sagt Dirk Felsmann, habe er zu viel Zeit im Flugzeug verbracht. Damals betreute er Multiplex-Kino-Projekte in ganz Europa. Irgendwann entschied sich der Inhaber der Planungsgesellschaft Dr. Meinhof und Felsmann in Hannover, nur noch Projekte anzunehmen, die er mit dem Fahrrad erreichen konnte.

Für Goslar macht er im Jahr 2013 offenkundig eine Ausnahme – wenn auch zuerst widerwillig, wie er zugibt. Der Spezialist für die Umnutzung denkmalgeschützter Objekte war auf das Areal Fliegerhorst aufmerksam gemacht worden. Heute sind rund 140 Wohnungen im Fliegerhorst fertig und bezogen. Am Ende werden alleine auf diesem denkmalgeschützten Areal 280 moderne Wohnungen entstanden sein.

„Mit der Zeit haben wir ein Gefühl für Goslar bekommen, konnten den Standort besser einschätzen und haben festgestellt, dass Politik und Verwaltung sehr schnell arbeiten. Hier haben wir nach sechs Wochen eine Baugenehmigung“, sagt Dirk Felsmann.

Denkmalgeschützte Gebäude: charmant und zeitlos schön

Im Laufe seines Berufslebens hat der Architekt festgestellt, dass es oft Missverständnisse zwischen Bauherren und Denkmalschutz gibt. Der Teufelskreis um die Denkmalpflege habe sich verstetigt – eine Entwicklung, die Dirk Felsmann nicht so recht nachvollziehen kann. „Im Baurecht gibt es für denkmalgeschützte Gebäude durchaus Erleichterungen, beispielsweise beim Wärmeschutz und bei der Anzahl der vorgeschriebenen Fahrstühle.“

Räumlichkeiten eines früheren Theaters. Uli Hiestermann
Früher Theater, künftig außergewöhnliche Wohnungen in der Innenstadt Goslars.

In Goslar sei jedoch festzustellen, dass dem Denkmalschutz – möglicherweise durch den Schutz der Innenstadt als UNESCO Welterbe – eine andere Bedeutung zukommt. „Denkmalschutz ist ein wunderschönes Instrument, um Baukultur und Stadtbild zu erhalten. Hinzu kommt, dass denkmalgeschützte Gebäude charmant und zeitlos schön sind, keine geschmacklichen Eintagsfliegen wie manche moderne Gebäude.“

Wohnen auf dem Fliegerhorst

Dass sich hinter denkmalgeschützten Mauern überaus komfortable Wohnungen mit modernen Grundrissen verbergen können, zeigt das Beispiel Fliegerhorst nur zu deutlich. So haben sich die ehemaligen Mannschaftsunterkünfte rein äußerlich kaum verändert. Im Inneren finden sich jedoch lichtdurchflutete Wohnungen mit einem offenen Grundriss, ansprechenden Holzböden, schicken Bädern und Küchen sowie Balkonen und Terrassen. Genauso verhält es sich in der Kommandantur und den Doppelhäusern auf dem Gelände des Fliegerhorsts.

Die Wohnungen haben zwischen 45 und 130 Quadratmetern Wohnfläche, der Großteil liegt jedoch unter 100 Quadratmetern. „Häufig ziehen hier Paare ein, die erstmals gemeinsam eine Wohnung mieten oder Menschen, die das Eigenheim verkauft haben, weil sie sich verkleinern wollten“, sagt Dirk Felsmann.

Zu den Besonderheiten dürfte auch zählen, dass das Unternehmen Dr. Meinhof und Felsmann alle Wohnungen im Bestand hält und vermietet. „Wir gewinnen die Objekte einfach lieb“, höre ich Dirk Felsmann förmlich am Telefon schmunzeln. Die steuerlichen Vorteile spielen natürlich auch eine Rolle.

Nächste Wohnungen ab Sommer 2022 verfügbar

Inzwischen hat das Projekt Fliegerhorst eine Eigendynamik entwickelt, die Felsmanns Erwartungen übertroffen hat. Es gibt ein Gesundheitszentrum, eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, einen internationalen Kindergarten und ein Hospiz. Und die Planungsgesellschaft hat mittlerweile auch das letzte verfügbare Objekt auf dem Fliegerhorst erworben.

Nach und nach entstehen so immer mehr Wohnungen auf dem geschichtsträchtigen Gelände. Die nächsten 24 Wohneinheiten kommen ab Juli zur Vermietung auf den Markt. Sie liegen am Mittelkamp in Sichtweite des Einkaufszentrums.

Odeon Goslar: wohnen im Theater

Gleichzeitig ist das nächste Projekt der Planungsgesellschaft Dr. Meinhof und Felsmann in Goslar bereits auf dem Weg: wohnen im traditionsreichen Odeon-Theater im Herzen der Innenstadt. Während an die Stelle der Bühne und des Zuschauerraums qualitativ hochwertiger Wohnraum in bester Lage tritt, wird das ursprüngliche äußere Erscheinungsbild des Odeon-Theaters wieder hergestellt.  Es entstehen 31 Wohnungen mit Größen von 35 bis 70 Quadratmetern und eine Büroeinheit.

Grundriss eines ehemaligen Theaters, das zur Wohnimmobilie umgestaltet wird. Dr. Meinhof und Felsmann
Das ist der künftige Grundriss des Erdgeschosses des früheren Odeon-Theaters.

Um die historische Bauform und Optik wieder in Erscheinung treten zu lassen, werden Anbauten entfernt, verschlossene Fensteröffnungen geöffnet und die Schmuckfassaden  aufgearbeitet. „Im Moment sind wir dabei, letzte Einzelheiten abzustimmen. Der Innenabbruch von nichtgeschützten Bauteilen wird schon vorbereitet und im Herbst geht es richtig los“, erklärt Dirk Felsmann.

Mietinteressenten dürften die sehr zentrale Lage am Bahnhof und in direkter Altstadtnähe sowie ungewöhnliche Grundrisse reizen. „Dank des wirklich außergewöhnlichen Baukörpers sind selbst Wohnungen, die über zwei Ebenen gehen, barrierefrei zu erreichen“, nennt Felsmann einen weiteren Pluspunkt. Doch etwas Geduld ist noch gefragt. Die Planer und Investoren rechnen mit rund zweijähriger Bauzeit. Voraussichtlich im Herbst 2024 werden die Wohnungen bezugsfertig sein.

Jakobushaus: gemeinschaftliches inklusives Wohnen an der Reußstraße 

Das sicherlich neuartigste Wohnkonzept im Portfolio möchte die Planungsgesellschaft auf dem Areal des St. Jakobushauses nahe der Innenstadt umsetzen. Rund um die sogenannte Alberti-Villa planen Dirk Felsmann und seine Kollegen gemeinschaftliches, preiswertes und inklusives Wohnen für Jung und Alt, Menschen mit und ohne Behinderung. „Unser Konzept, mit dem wir den Zuschlag für das Immobilienensemble bekommen haben, steht unter dem Titel ‚Gemeinschaft im Privaten’“, erklärt Felsmann.

Zum erworbenen Gebäudeensemble zählen das St. Jakobushaus selbst, das Dechant-Winter-Haus und das Gärtnerhaus. Die Grundidee beschreibt Dirk Felsmann so: „Sämtliche Gebäude sollen vollständig erhalten und behutsam neuen Wohnnutzungen zugeführt werden.“ Vorgesehen ist, in vier Modulen unterschiedliche Wohnformen anzubieten, die über den gemeinschaftlichen Garten und Gemeinschaftsräume gewissermaßen verbunden sind.

Grillen, Spiel und Sport im gemeinsamen Garten

Im St. Jakobushaus, der sogenannten Alberti-Villa, sollen etwa acht Wohnungen mit privaten Wohn- und Schlafräumen entstehen, die über Gemeinschaftsflächen wie Küchen und Speiseräume verbunden sind. Die Gemeinschaftsflächen sollen für alle Bewohner der Anlage zugänglich sein. Das selbstorganisierte Generationsprojekt wendet sich an Senioren, Behinderte, Nichtbehinderte, Familien, Alleinstehende und Paare.

Das Dechant-Winter-Haus soll in vier kleine Familienreihenhäuser umgewandelt werden und jungen Familien erschwinglichen Wohnraum bieten. Im Gärtnerhaus hingegen entstehen zwei kleine Wohnungen für rüstige Senioren. Drei kleine, pfiffige Wohnungen im Gästehaus des St. Jakobushauses sind als „erste eigene Wohnungen“ konzipiert. Allen Bewohnern steht der vorhandene Garten für Grillabende, zum Spielen und Sporttreiben zur Verfügung.

Ein historischer Altbau in Goslar. Sabine Ruggeri
Reihenhäuser für Familien im Dechant-Winter-Haus (links im Bild).

„Die Detailplanungen erfordern noch etwas geistige Arbeit“, gibt Dirk Felsmann schmunzelnd zu. Dafür steht den Planer Zeit zur Verfügung. Denn die Eigentümer haben die derzeit noch komplett möblierten und ausgestatteten Häuser als Wohnraum für Geflüchtete aus der Ukraine angeboten. „Es gibt eine funktionierende Gemeinschaftsküche, Kindergarten, Turnhalle und Kapelle. Insofern wäre es ein echter Fehler, die Gebäude nicht zur Unterbringung von geflohenen Menschen zu nutzen“, betont Felsmann.