Header image Andreas Greiner-Napp

8. Internationale Orgelwochen
Eine Frau unter Männern

Für mich war bisher die Orgel ein Instrument, das laute, aber auch beeindruckende Töne von sich gibt. Bis ich Orgelstücke von Anna-Victoria Baltrusch hörte. Vom 2. Juli bis 27. August finden in Königslutter die 8. Internationale Orgelwochen statt. Neun Konzerte davon im Kaiserdom, eines davon mit einer Frau, einer jungen Frau. Ich erwische Anna-Victoria Baltrusch telefonisch. Die geborene Berlinerin arbeitet als Kirchenorganistin im Neumünster in Zürich.

Fotostudio Woias

Weiblich, jung und erfolgreich

Als Gesprächspartnerin ausgesucht habe ich Anna-Victoria Baltrusch aus zwei Gründen: Zum einen, weil sie als einzige Frau im Kaiserdom an der Orgel sitzt und zum anderen, weil sie noch keine dreißig Jahre jung ist. Ist der Beruf des Organisten denn nicht eher eine Männerdomäne? „Ja“, sagt sie, „immer weniger, aber schon noch. An der Basis gibt es ziemlich viele Frauen, im Studium beispielsweise ist es halbe-halbe, das dünnt sich aber dann nach oben hin aus, Professorenstellen sind zum Beispiel fast nur mit Männern besetzt.“

 

„Ich habe einen sehr schönen Beruf“

So viele Preise wie Anna-Victoria Baltrusch schon gewonnen hat und mit welchen Koryphäen sie schon spielte, das ist doch ungewöhnlich, oder? Es ist schon besonders, aber „wenn man es bis dahin nicht geschafft hat, dann ist es auch schwer, noch besonders gut oder erfolgreich zu werden. Man merkt schon sehr früh, ob es mit der Musik etwas werden kann“, sagt sie selbstbewusst. Mit vier Jahren begann Anna-Victoria mit dem Klavierspielen. Aus eigenem Antrieb und unterstützt von den musikinteressierten Eltern. Zudem spielte sie noch Geige, erprobte sich auf der Blockflöte und sang im Chor. Und irgendwann gab es dann folgerichtig auch den Wunsch mit Musik Geld zu verdienen. „Hätten Sie sich auch etwas anderes vorstellen können?“, frage ich. „Ja, schon, die Psychologie hätte mich gereizt, aber nun ist es die Musik geworden und ich bin sehr glücklich mit meinem Beruf.“

 

Auch ein bisschen Eventmanagerin

Sie ist nicht nur Organistin und Pianistin, sondern auch Kirchenmusikerin, lese ich auf ihrer Homepage. Als Laie in Kirchendingen lasse ich mich gern belehren, was das konkret bedeutet. „In Deutschland setzt der Beruf des Kirchenmusikers ein anderes Studium voraus. Es ist kein reines Instrumentalstudium, sondern man lernt Orgel, Gesang, Klavier, Cembalo, Chorleitung, Dirigieren, Orchesterleitung, Theologie, man begleitet die komplette kirchenmusikalische Arbeit. Wir sind auch ein bisschen Eventmanager“, lachte die Neu-Schweizerin. Anna-Victoria Baltrusch kann man übrigens am 16. Juli beim Spielen lauschen, ich werde da sein.

 

Die Klangfarben machen’s aus

Doch zurück zum Instrument: Was macht die Orgel im Gegensatz zum Klavier aus? „Die Orgel ist von ihren Klangfarben her schon vielseitiger. Durch die Register und die Registeranordnung haben wir viele Möglichkeiten. Nie ist eine Orgel wie die andere. Man muss jedes Stück auf jeder Orgel wieder neu einrichten, so als ob man im Orchester immer mit neuen Leuten spielt. Und das ist super spannend. Man muss viel lernen, der Orgel zuhören. Es ist insgesamt der Farbenreichtum der Orgel, der mich fasziniert.“

Jede Orgel ist anders

In Königslutter hat Baltrusch bisher noch nicht gespielt. „Ich freue mich riesig auf den Kaiserdom – dafür habe ich mir spätromantische Werke ausgesucht, denn die Orgel stammt aus dieser Zeit. Die Spätromantiker haben sehr orchestral gedacht, mit vielen Klangfarbenwechseln.“ Muss man für jede Orgel extra üben? „Auf jeden Fall! Es soll ja auch schön werden.“ Vier bis fünf Stunden proben muss sie schon, verrät sie.

 

 2.500 Orgelpfeifen begeistern internationale Organisten

Die Orgel im Kaiserdom Königslutter hat schon viel erlebt. 1892 wurde sie von der renommierten Hannoveraner Firma Furtwängler & Hammer gebaut, allerdings mit weniger Pfeifen als geplant. Später wurde sie entkernt, Trakturteile und Teile der inneren Konsole wurden eingelagert. Zum Glück, denn später konnten diese Teile wieder eingebaut werden, als die Orgel saniert werden musste. Dies geschah zwischen 2007 und 2010 durch den „Freiburger Orgelbau Späth“, zudem konnten die fehlenden Stimmplätze ergänzt werden. Somit ist die sehens- und hörenswerte Orgel im Kaiserdom klanglich weitgehend dem Originalzustand angeglichen worden.

 

Ein Kunstgenuss – ehrwürdige Steine und imposante Klänge

Die Informationen zur Orgel erhalte ich von Ute Sandvoß, der Beauftragten des Landeskirchenmusikdirektors Claus-Eduard Hecker für die Orgelwochen. Ich besuche sie in der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, die den Kaiserdom aufwendig saniert hat und der im Stiftungsbesitz ist. „Ich kann auch Laien den Besuch der Orgelkonzerte ans Herz legen, denn die Kombination von Dominnenraum und der Musik ist einfach etwas ganz Besonderes. Man kann vom Alltag abschalten, seinen Gedanken nachspüren, genießen – es ist fast wie eine Meditation“, schwärmt die engagierte Kulturprojektmanagerin.

Neun Konzerte mit Organisten aus sechs Ländern

Die Internationalen Orgeltage finden seit 2010 statt, das erste Mal anlässlich der Wiedereröffnung des Kaiserdoms. Sie ziehen jeweils rund 1.500 Besucher an: natürlich Organisten, aber auch andere Musikinteressierte und – Touristen. Sie kommen von überall her, auch aus Berlin. Denn: Der Berliner Dom kooperiert mit dem Kaiserdom. Somit besuchen die Stars der Orgelszene nicht nur Berlin, sondern kommen auch schon mal in die Provinz, vermute ich laienhaft. Aber nein, die Königlutterer Orgel hat einen sehr guten Ruf, erfahre ich von Frau Sandvoß, hat doch der Glasgower Starorganist Kevin Bowyer einmal verlauten lassen, dass er die Orgel im Dom für eine der fünf besten romantischen Orgeln der Welt halte. Und die steht in unserer Region!