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Gifhorner Moorbahn
Fast wie bei Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer

Es ist keine Insel und es hat auch keine zwei Berge – aber einen Eisenbahnverkehr: das Große Moor bei Westerbeck nahe Gifhorn. Hier wird noch Torf abgebaut, jedenfalls auf einem Teil der Fläche und wahrscheinlich nur noch bis zum Jahr 2025. Die bereits abgetorften Bereiche sollen nach und nach renaturiert werden und so ein neues Hochmoor entstehen. Darum kümmert sich der NABU in Zusammenarbeit mit dem Verein „Natur- und KulturErlebnispfad Großes Moor Gifhorn e.V.“. Außerdem hat der Verein sich zum Ziel gesetzt, die einzigartige Natur und Schönheit des Hochmoores mit seiner spezifischen Tier- und Pflanzenwelt zu erhalten und erlebbar zu machen.

Informationsstand: September 2023

Dazu betreibt der Verein eine Schmalspurbahn, mit der begleitete Touren angeboten werden. Diese führen auf einem Rundkurs durch die nicht mehr bewirtschafteten Gebiete des Großen Moores. Zweieinhalb Stunden dauert die Fahrt mit Unterbrechungen an zwei sehenswerten Aussichtspunkten. Ehrenamtliche Vereinsmitglieder erklären den Besuchern hier die besondere Ökologie eines Hochmoores und erzählen viel Interessantes über die Geschichte und die Besiedelung des weitläufigen Moorgebietes.

 

Ein Selbstversuch

An einem Samstag im Juli will ich die Fahrt ins Moor mitmachen. Treffpunkt der Fahrgäste ist eine Blockhütte auf einer Streuobstwiese am Rand von Westerbeck. Das ist leicht zu finden; die Adresse lautet „Am Hagen 16, 38524 Sassenburg, OT Westerbeck“. Die Straße zweigt direkt von der Hauptstraße des Ortes ab, außerdem weisen Hinweisschilder auf die Moorbahn hin. Zwei ehrenamtliche Mitglieder des Vereins werden uns begleiten und geben uns erste Infos zur Tour durchs Moor. Unter anderem den Tipp, dass man im Blockhaus Sitzkissen für die Fahrt findet. Echte Kerle brauchen das natürlich nicht – und werden spätestens nach einer halben Stunde bereuen, auf dieses gesäßfreundliche Utensil verzichtet zu haben. Denn die Technik der Bahn ist robust und die kleinen Waggons verfügen nur über die Holzklasse.

Ganz gemütlich geht es los

Den kleinen überdachten Bahnhof erreichen wir nach einem kurzen Fußmarsch von etwa hundert Metern. Gut gelaunt steigen wir in die sechs bereitstehenden offenen Wagen ein. Mit der atemberaubenden Geschwindigkeit von vier Kilometern in der Stunde geht es auf die Strecke. Zunächst durch einen Wald, hauptsächlich mit Laubbäumen, die nicht angepflanzt wurden, sondern durch natürliche Einsaat auf der abgetorften Fläche gewachsen sind. Wie wir später erfahren, dient dieser Bewuchs zur Entwässerung der Fläche – eine Birke beispielsweise entzieht dem Boden pro Jahr rund 600 Liter Wasser.

Als ein Feldweg überquert und eine Weiche passiert werden muss, hält unsere kleine Bimmelbahn: Der Lokführer steigt von seinem Führerstand und bedient die Weiche von Hand. Dann geht es weiter – nicht ohne ein ohrenbetäubendes Pfeifsignal. Könnte ja sein, dass gerade jetzt unaufmerksame Füchse, Hasen, Rehe oder Wanderer den Weg kreuzen und dringend gewarnt werden müssen.

Auf Besuch bei den Moorfröschen

Wir zockeln weiter an einem Waldweg entlang und biegen dann auf eine weiträumige, bereits abgetorfte Fläche ein. Niedriges Buschwerk und halbhohe Gräser, dazwischen kahle torfbraune Flecken, bestimmen das Bild. Mitten in dieser Umgebung, die ein wenig an eine Mischung aus afrikanischer Savanne und niedersächsischem Laubwald erinnert, machen wir unseren ersten Halt an einem Bahnsteig, der auf Stelzen ruht und mit Bohlen belegt ist. Links und rechts vom Bahnsteig gibt es in einiger Entfernung zwei Aussichtsplattformen, die man ebenfalls über einen soliden Bohlenweg erreicht.

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Hier sind unsere beiden Tourführer Heinz Dettmer und Theodor Trautmann in ihrem Element: Mit beachtlichem Detailwissen und einer ordentlichen Prise Humor lassen sie uns eintauchen in die Welt des Großen Moores. Wäre es in diesem Sommer nicht so trocken, wäre das auch wortwörtlich möglich – man könnte hier die Schuhe ausziehen und an geeigneten Stellen ein Moorfußbad nehmen. Durch die geringen Niederschläge dieses Jahres fehlt dem Moor etwa ein halber Meter Wasser. Daher seien einige Bereiche trocken gefallen, erklärt Theo Trautmann. Ganz trocken ist es allerdings nicht. An den Aussichtspunkten beispielsweise gibt es einige Teiche, die der Renaturierung des Moores dienen. Hier tummeln sich jetzt auch zahlreiche Moorfrösche – eine an sich recht seltene Art.

 

Artenreiche Natur

Weiter geht es an einem Entwässerungsgraben entlang. Hier wächst die seltene Sumpfcalla. Auch Hundsveilchen und viele andere seltene Pflanzen kann man entdecken. Überhaupt bietet das Große Moor eine artenreiche Natur: Rund 150 Tierarten und etwa vierzig Pflanzenarten, die zu den gefährdeten Arten Niedersachsens zählen, sind hier vertreten. Elf Arten davon sind vom Aussterben bedroht.

Zu den tierischen Bewohnern des Moores gehören neben Rehen, Damwild und Wildschweinen auch Vögel wie Kranich, Reiher, Ziegenmelker, Bekassine, Schwarzkehlchen, Raubwürger, Heidelerche und Krickente. Außer ein paar Krickenten und einem einsamen Reiher ist von denen allerdings während unserer Tour nichts zu entdecken. Dafür sehen wir einige der hier vertretenen Libellenarten, die mal pfeilschnell und  dann wieder wie ein Hubschrauber in der Luft stehend, umher schwirren. Außerdem sind auch Reptilien wie Kreuzottern, Schlingnattern und viele Moorfrösche hier zuhause.

Nächster Halt im Nirgendwo

Wir ruckeln und zuckeln unserem nächsten Halt entgegen, einer etwa fünf Meter hohen überdachten Aussichtsplattform. Rundherum erstreckt sich eine kahle, torfbraune Fläche, die nur ganz vereinzelt ein wenig Bewuchs aufweist. Lediglich in der Nähe der Plattform wird es etwas grüner, dort befinden sich einige Teiche zur Anzucht von Torfmoos.

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Rundherum wachsen Buschwerk und Pflanzen wie beispielsweise das Pfeifengras. Die Wege zur Plattform und zu den Teichen sind eingerahmt von grauweiß verwitterten Baumresten, die beim Torfabbau zutage gefördert wurden. Einige tausend Jahre alt können diese Stücke sein. Diese wurden im sauren Milieu des Moores konserviert und vor der Verwesung geschützt, erklärt uns Heinz Dettmer.

Relikte der letzten Eiszeit

Mittlerweile, es ist fast Mittag, ist es recht warm geworden im Moor. Wir treten die Rückfahrt mit unserer kleinen Bahn an. Unterwegs fallen einzelne weiße Steine auf, die verstreut auf der kahlen Fläche liegen. Es sind Granitbrocken, die mit der letzten Eiszeit von Norwegen bis hierher gekommen und durch die lange Zeit im sauren Moor ausgebleicht sind. Nochmal geht es ein Stück durch den schattigen Wald, dann haben wir den kleinen Bahnhof in Westerbeck erreicht. Endstation und alles aussteigen – wer noch Fragen hat, belagert jetzt unsere beiden Tourführer. Offenbar hat allen die Fahrt mit der kleinen Bahn gefallen. Ich jedenfalls werde diese Tour sicher wiederholen, am liebsten natürlich, wenn das Moor wieder etwas mooriger ist.