Header image Susanne Jasper

Kunst lebt auch auf dem Land –
Zwischen Edemissen und Wendeburg gibt es viele kreative Köpfe

Kunst wird nicht nur in Berlin oder Hamburg, in den Metropolen der Kreativen gemacht. Auch zwischen Edemissen und Lengede, Hohenhameln und Wendeburg gibt es Maler und Bildhauer, Fotografen und Performer. Diese bunte Szene sichtbar zu machen, hat sich der Verein Kunst im Peiner Land (KIP) auf die Fahne geschrieben. Ein Atelierbesuch bei der Vorsitzenden Britta Ahrens.

Kunst soweit das Auge reicht

Britta Ahrens empfängt mich frohgemut und strahlend in der 3. Etage des Hauses in der Peiner Innenstadt. Ihr Malerkittel ist ebenso expressiv bekleckert wie der Fußboden. Die Küche ist ein grüner Dschungel mit raubtierhaftschnaubendem Boiler. „Funktioniert aber!“, lacht Ahrens. Alle Räume atmen Kunst – vom Boden bis zur Decke. Tuben, Quasten, Staffeleien, Armeen von Pinseln, bemalte Leinwände auf dem Boden, in Regalen, an den Wänden.

Warum machen sie das, Frau Ahrens?

Britta Ahrens ist Goldschmiedin und Künstlerin, hat zwei erwachsene Kinder in der Ausbildung. Sie hat eine Goldschmiedewerkstatt, die Atelierwohnung, den Verein. Wenn man weiß, dass die Arbeit für die meisten Künstler – denn nur die wenigsten spielen in der finanziellen Liga eines Neo Rauch – zeitlebens ein kräftezehrender kreativer Prozess und existenzieller Überlebenskampf ist, kann man schon mal fragen: Warum machen sie das, Frau Ahrens?

Halsen sich ehrenamtliche Vereinsarbeit auf? Organisieren, planen, schleppen Staffeleien, koordinieren, kümmern sich um Kataloge, Plakate und, und, und … Britta Ahrens lacht hell auf: „Ja, das ist viel Arbeit. Stimmt. Und ein bisschen bescheuert ist das vielleicht auch. Aber wissen sie, wenn ich als Jugendliche so was gehabt hätte: Ich wäre so glücklich gewesen.“ Damals im Münsterland, wo sie groß geworden ist, gab es einen Aquarellkurs. „Mit alten Frauen und Blümchen pinseln.“

Also machen Ahrens und ihre Vereinskollegen jetzt Jugendliche glücklich, indem sie ihnen die Möglichkeit zum Malen geben. „U20“ heißt das Projekt für Mädchen und Jungen unter 20. Immer donnerstags können sie sich in Ahrensʼ Atelier kreativ austoben. Klingeln ist auch an anderen Tagen unbedingt erlaubt. Einmal im Jahr gibt es einen Workshop – dieses Jahr waren es sogar zwei. Und stets am letzten Wochenende im Oktober gibt es während der Peiner Kulturmeile eine Ausstellung in der City-Galerie.

Dieses Jahr zeigten 30 Jugendliche ihre Werke. Es gab einen kleinen feinen Katalog, nebst Grußwort vom Bürgermeister. Diese Aufmerksamkeit tankt das Selbstbewusstsein auf. Das ist eben schon etwas anderes, als im Kunstunterricht unter Notendruck zu malen. Oder daheim im Kinderzimmer unter den gestrengen Augen der Mama in Öl oder Acryl der Fantasie freien Lauf zu lassen. Denn manche Mutter wird ob der Flecken auf Boden und Klamotten schon mal kantig.

„Kunst ist wie eine Sprache, die jeder versteht, aber anders interpretiert.“

Shayna (13)

„Shayna, lass den Himmel jetzt mal so“, Ahrens rät der 13-Jährigen, den grauen Himmel in Acryl allmählich zur Ruhe kommen zu lassen. Wie ging es eigentlich los mit KIP? „Peine ist ja nun mal eine liebenswerte Kleinstadt, Arbeiterstadt, Stahlstadt. Es gibt das Kreismuseum und sonst nichts“, sagt Ahrens. Da werkelt man als Künstler als Einzelkämpfer vor sich hin, weitgehend unsichtbar. Das wollten sie und ihre Freundin Vera Szöllösi, 2. Vorsitzende bei KIP, ändern.

So gab es 2013 den ersten Künstlerstammtisch, 2015 gründete sich der Verein. Mehr als 50 Mitglieder hat der Verein derzeit, „Studierte und Autodidakten“, die Initiative ist aber auch offen für Nichtmitglieder. „Man muss nicht im KIP sein, um bei KIP mitzumachen.“ Herzstück des Vereins ist die Aktion „Offene Ateliers“. Immer am letzten Wochenende im September öffnen Kunstschaffende im Peiner Land ihre Werkräume.

Kunst am Zug: Da gucken Gemälde aus der Bäckerei auf die Reisenden

Zudem gibt es diverse Kunstaktionen. Zwei Beispiele: Kunst am Zug. Da wird der Peiner Bahnhof zur gläsernen Ausstellungshalle, sogar aus der Bäckerei gucken den Reisenden dann Kunstwerke an. Zudem haben Ahrens und Kollegen Malkurse in der Sammelunterkunft für Flüchtlinge gegeben. Zum Dank wurden sie bekocht. Herausgekommen ist das Büchlein Peiner Lieblingsgerichte mit Porträts und Rezepten. KIP ist ein Verein ohne Ort, Ahrensʼ stellt ihr eigenes Atelier für Workshops zur Verfügung. Zum Stammtisch gehtʼs in die Kneipe. KIP ist ein Verein (fast) ohne Geld, sieht man mal von den 2.000 Euro pro Jahr vom Landkreis ab.

Dieses Jahr gab es noch mal 1.000 Euro zusätzlich für die U20- Gruppe. Ansonsten müssen Förder- und Sponsorengelder eingeworben werden. Für Dozentenhonorare, Kataloge, Plakate, Flyer. Wenn Ahrens so erzählt, merkt man, dass sie gern viel an Zeit und Wissen in diese Arbeit investiert. Auch wenn sie selbst manchmal kaum zum Malen kommt. Bei ihr zu Hause parken 150 Staffelleien und 700 Bilderrahmen den Flur zu und unzählige Kartons stapeln sich.

Wie wuppt sie das nur alles? Und ist dabei selbst noch künstlerisch sehr produktiv, auch wenn sie zum ungestörten Malen schon mal in einen Volkshochschulkurs flüchtet. Allein der Ruhe wegen. Wie kriegt sie das unter einen Hut,  allein rein zeitlich!? Sie lacht laut: „Ich habe keinen Fernsehen. Und keinen Freund.“