Es geht steil bergauf für Evan Brandes. Marvin Reepschläger

Evan Brandes: Goldmedaillengewinner im BMX

Dass unsere Region Köpfchen hat, ist ja bekannt – aber dass wir auch im Spitzensport mitmischen, das weiß noch längst nicht jeder. Und dabei haben wir einen Goldmedaillengewinner aus dem Landkreis Wolfenbüttel, der in Braunschweig für seinen Sport trainiert: Der 18-jährige Evan Brandes hat 2018 die Jugendolympiade im BMX-Fahren in Argentinien gewonnen! Weil BMX schon in meiner Jugend cool war und eine Goldmedaille natürlich die Krönung ist, will ich mehr über Evan und seinen Sport erfahren.

Training in der „Walhalla“

Ich treffe mich mit Evan Brandes in der „Why’O’Land“-Skate- und Bike-Halle in der Nähe des Braunschweiger Hauptbahnhofs. Hier ist Evan fast jeden Tag anzutreffen, denn neben seiner Ausbildung zum Erzieher trainiert er täglich (bis auf mittwochs, da sind nur Skateboards in der Halle erlaubt) drei bis fünf Stunden, um an der Weltspitze im BMX mitzufahren. Die „Why’O’Land“-Halle – auch bekannt als „Walhalla“ – ist Deutschlands zweitgrößte Halle dieser Art und zieht neben dem jungen Olympiasieger auch Sportler aus ganz Deutschland an. So stammt auch schon der erste Skater, den ich nach Evan frage, aus Magdeburg.

Und dann kommt Evan, etwas nassgetröpfelt vom Regen, zusammen mit seinem Bike direkt vom Bahnhof. Ein sympathischer junger Mann, gepierct, mit Zahnspange und Tattoos. Ich ahne, dass BMX mehr ist als nur ein Sport. Die Liebe zum BMX-Sport hat ihm sein Vater, der in Klein Vahlberg den Laden Train BMX betreibt, quasi in die Wiege gelegt. Bereits mit zwei Jahren, also in einem Alter, in dem andere Kinder gerade mal ihr Puky-Lauflernrad ausprobieren, ist Evan schon aufs BMX-Rad gestiegen und legte sofort los. Die Stützräder konnten abmontiert werden, denn der Junge war quasi mit dem Rad verwachsen.

Was als Spaß begann …

Zunächst war Evan nur „der Kleine“, der in der Halle trainierte, wie so viele andere Kinder und Jugendliche auch. BMX als Hobby, betrieben aus Spaß an der Freude. Bis im Jahr 2016 der erste Sponsor auf das Talent aufmerksam wurde! So bekam Evan von Haro BMX sein erstes Equipment gesponsert, mit dem er auch an seinen ersten internationalen Wettkämpfen teilnahm.

Ein Jahr später, 2017, wurde dann auch Jens Werner, Koordinator für BMX Freestyle vom Bund Deutscher Radfahrer e. V., auf Evan Brandes aufmerksam. Werner hat sofort das Potenzial des jungen BMX-Fahrers erkannt und ihn für die Youth Olympics, also die Jugendolympiade vorgeschlagen. Evan fuhr mit dem deutschen Team zur WM nach China – und sicherte sich mit dem vierten Platz in der Klasse U18 die Qualifikation für Olympia.

 

… mündet in einer Goldmedaille!

2018 ging es dann erst richtig los: Brandes startete in Japan und Frankreich, er nahm am Weltcup in Kanada teil, besuchte eine Woche lang ein Trainingslager in England und fuhr auch in Pennsylvania, USA – dem Land, in dem das BMX-Fahren erfunden wurde. Doch die absolute Krönung seiner bisherigen sportlichen Karriere wartete in Argentinien auf das Talent: Bei der Jugendolympiade holte er zusammen mit Lara Lessmann die Goldmedaille im BMX Freestyle!

Eine Wahnsinnsleistung! Der junge Sportler ist zu Recht stolz auf seinen Erfolg – er strahlt förmlich, wenn er davon erzählt und die Medaille zeigt. Ganz schön schwer das Ding, finde ich, als ich die Medaille anfassen darf.

Marvin Reepschläger

BMX ist mehr als nur ein Sport

Dabei fallen mir seine Tattoos auf: Die rechte Hand zieren eine Weltkugel und die Ziffern 4130 sind auf den Fingern zu lesen. „Die Zahl bezeichnet den Stahl, aus dem unsere BMX-Räder bestehen“, erklärt mir Brandes. „Und die Weltkugel habe ich mir machen lassen, weil ich durch meinen Sport schon so viel reisen durfte.“ Während sich Evan für das Training umzieht, sehe ich noch ein Tattoo, das sonst nicht offensichtlich ist: Auf dem rechten Oberschenkel prangt in großen Lettern „BMX“.

Körperschmuck und -verzierung, dazu coole Streetklamotten, ja, Evan verkörpert schon einen bestimmten Style. „BMX ist eine Lebenseinstellung“, erläutert der junge Mann. Sein gesamter Lifestyle richtet sich danach, von der Musik über die Kleidung bis hin zu den Freunden, die auch alle aus der Szene kommen. „Ich kann mir auch nichts anderes vorstellen“, meint Evan. Etwas schade findet er, dass BMX als Underground-Sport bei uns noch immer als „Kindersport“ belächelt wird. Vielleicht ändert sich das, wenn die Disziplin künftig olympisch wird.

 

Die fliegenden Fahrer mit ihren tollen Tricks

Doch jetzt geht es erst mal auf die Rampe. Aber noch bevor Evan sein Rad besteigt, stürmt ein weiterer jugendlicher Fahrer herein. „Das ist Oliver Mein, den trainiere ich.“ Olli hat jetzt aber keine Lust auf ein Foto und stürmt sofort los in die Halle, um zu fahren. Seine Mutter bestätigt mir, dass Olli nichts anderes mehr kennt als BMX und mittlerweile die ganze Familie hinter diesem Sport steht. Dabei ist das ein nicht ganz so kostengünstiges Hobby: „Wir haben allein für den Rahmen mehrere hundert Euro bezahlt, weil er gebrochen ist. Da ist schon viel Verschleiß bei, wenn viel gefahren wird.“ Aber auch Kerstin Mein strahlt, wenn sie von der besonderen Atmosphäre des BMX erzählt.

Während Evan und Olli Fahrt aufnehmen und die steilen Rampen heruntersausen, dabei die nächste Wand mit ihren Rädern wieder hochfahren, sich abstoßen, springen, den Sattel mitten in der Luft verlassen und das Rad drehen, gar einen kompletten Salto machen und dann sicher wieder am Boden landen, fällt mir noch ein kleiner Fan von Evan auf. Luis hat sich die Tattoos von seinem Idol abgeschaut und eine Weltkugel auf seinen Handrücken gemalt. Stolz darf auch der 10-Jährige einmal die Goldmedaille halten.

Marvin Reepschläger

BMX ist eine große Familie

Evan trainiert nicht nur für sich im Why’O’Land, sondern er trainiert auch den Nachwuchs. Er selbst absolviert gerade die Ausbildung zum Erzieher, was ihn geradezu dafür prädestiniert, die Kleinen im Sport zu begleiten. Nach Anmeldung kann jedes Kind auch bei ihm die Basics lernen, er ist offen für jeden, der sich dafür interessiert. Und manchmal fällt ihm dann auch auf, dass jemand besonders talentiert ist – so wie Olli Mein. Den ermuntert er dann, sich selbst Tricks auszudenken und motiviert den Jungen, damit er auch bei schwierigen Sprüngen dranbleibt und nicht aufgibt.

Evan selbst denkt sich während seines Trainings immer neue Tricks aus. Es dauert auch schon mal zwei bis drei Wochen, bis das sitzt. Neben der Körperbeherrschung und Sportlichkeit ist beim BMX auch Kreativität gefragt. Höher, schneller, weiter – so kann man es beschreiben. Die ersten Tricks hat er sich von seinen größten Vorbildern noch bei YouTube abgeschaut: Kyle Baldock aus Australien und Pat Casey aus den USA. In diesen Ländern ist der Sport Kult und die Profis können sehr gut davon leben. „Ich finanziere mir meinen Lebensunterhalt mittlerweile auch durch BMX“, erzählt Evan. Klar, die Ausbildung zum Erzieher ist ja nicht vergütet, deshalb ist es toll, dass er diverse Sponsoren gewinnen konnte, die ihm Material und Reisekosten bezahlen. Heute wird Evan unterstützt von 24/7 Distribution, Mankind Bikes, natürlich dem Bund Deutscher Radfahrer und von der Sporthilfe sowie von TSG Protection.

Apropos Material: Was ist neben dem Rad zwingend notwendig, will ich wissen. Als erstes nennt Brandes einen guten Helm. Nicht so ein Radfahrer-Helm, wie man ihn auf der Straße sieht, sondern eine richtige Hartschale. Der ist am wichtigsten und an ihm sollte auf keinen Fall gespart werden. Auf Platz zwei folgen die Knieschoner und anschließend die Schienbein- und Knöchelschoner. All das hat Evan selbst angelegt, bevor er auf den Parcours gefahren ist. Außerdem sind Handschuhe sinnvoll und wer es mag, kann auch Ellbogenschoner anlegen. Die Schuhe der Wahl sind übrigens Vans. Die sind die Favoriten bei so ziemlich allen Fahrern in der Szene.

Marvin Reepschläger

Eindrücke von der Olympiade

Auch, wenn die BMX-Gemeinde wie eine große Familie ist – es gibt auch innerhalb der deutschen Szene verschiedene Meinungen. So fand eine Hälfte es toll, dass BMX nun eine Disziplin der Jugendolympiade ist, die anderen hingegen fanden es uncool, dass es bei diesen Sportereignissen gewisse Regeln und Vorschriften, z. B. hinsichtlich der Trikots, gibt. Aber gerade durch seinen Goldgewinn hat sich da viel getan und selbst die vorher schärfsten Kritiker gaben ihm hinterher tolles Feedback. Brandes ist überzeugt, dass Spaß für diesen Sport zwingend dazu gehört und genau das hat er nach seinem Sieg auch Trainern anderer Sportler vermitteln können. Auch darauf ist er stolz und das hat ihn nachhaltig beeindruckt.

Ich möchte wissen, was ihn noch so geprägt hat im letzten Jahr. Bei der WM in China hat er seine großen Idole persönlich getroffen und das war für ihn ein ganz besonderes Highlight. Mit Kyle Baldock und Pat Casey zu sprechen, sie persönlich kennenzulernen, das hätte er sich vorher nie träumen lassen. Es hat ihm gezeigt, dass BMX nicht nur ein Lebensstil ist, sondern tatsächlich verbindet.

 

Sein größter Traum

Dass BMX nicht nur zu seinem Leben dazugehört, sondern sein Leben ist, glaube ich Evan Brandes blind. Doch wie fühlt es sich für ihn in Wettbewerbssituationen an? Ist er dann sehr aufgeregt? Bei seinen ersten großen Wettkämpfen hatte er noch großes Lampenfieber, als er auf der Rampe stand, berichtet er. Aber wenn er dann hinunter in das Publikum schaut, dann wandelt er die Aufregung in Energie um, die sich wiederum im Spaß am BMX-Fahren manifestiert. Und das ist der Punkt, an dem der talentierte Fahrer sein Potenzial zeigen kann. Schließlich hat er in einem fremden Park vorher nur eine Stunde Zeit, um die beste Line zum Fahren zu finden – und die, ebenso wie seine besten Tricks, müssen dann innerhalb einer Minute während des Wettbewerbs auf dem Punkt sein.

Marvin Reepschläger

Dass ihm das gelingt, davon zeugt die olympische Goldmedaille. Aber auch, wenn ihm das Talent von Kindesbeinen an mitgegeben wurde, ist der Weg zum Erfolg doch gepflastert von jeder Menge Schweiß und Blut. Ein Kreuzbandriss im Knie und eine Gehirnerschütterung, natürlich jede Menge blaue Flecken und blutige Abschürfungen sind der Preis, den er bisher dafür bezahlen musste – glücklicherweise alles glimpflich verlaufen. Er weiß, wie man fällt, aber er steht immer wieder auf. Und ganz klar formuliert Evan: „Man darf nie aufgeben, egal, was andere sagen. Man muss immer an sich selbst glauben, nur dann kann man seine größten Träumen auch verwirklichen!“ Und einer dieser Träume ist, dass er vielleicht selbst mal Profi in den USA wird. So wie seine größten Vorbilder. Denn: „Träumen ist ja erlaubt!“ Da hast du recht, Evan – und ich drücke dir ganz fest die Daumen, dass sich deine sportlichen und persönlichen Träume erfüllen!