Header image Inga Stang

„Tanzen ist für mich Freiheit“
Streetdance-Weltmeister und Tanzlehrer Noran Kaufmann über seine Leidenschaft

Irgendwo im Nirgendwo, versteckt in einer Ecke im Industriegebiet Gifhorns, liegt das international bekannte „Tanzhaus Gifhorn“. Von hier aus werden jährlich verschiedene Wettkampfgruppen in die Welt geschickt, um Titel rund um das Genre Streetdance einzustreichen. Mit dem Fahrrad und Zug habe ich mich auf den Weg gemacht, um mich selbst vom Spirit dieses besonderen Ortes zu überzeugen und mit Gründer und Inhaber Noran Kaufmann zu sprechen.

Seit frühster Kindheit am Lehren

Norans Weg zum Tanz führte über den Kampfsport Kung-Fu. Sein Vater war aktiver Kung-Fu-Lehrer und brachte ihm früh bei, worauf es beim Lehren von Bewegungsabfolgen ankommt. Bereits im frühen Teenageralter durfte Noran selbst unterrichten und so seine ersten Erfahrungen sammeln. Über einen seiner Schüler kam er schließlich zum Tanz: „Im Training fing einer meiner Schüler plötzlich an, im ‚Electric Styleʻ zu tanzen. Diese Art der Bewegung hat mich sofort in den Bann gezogen.“ Wie viele junge Hip-Hop-Tänzer begann auch Noran zuerst mit Breakdance. Täglich übte er Flic Flacs, Kopfdrehungen sowie weitere klassische Moves und setzte sich mit Tanzvideos und Choreographien der „Stars“ auseinander. Schnell machte er sich einen Namen in der lokalen Szene und durfte mit 16 bereits in einer Tanzschule als Breakdance-Lehrer sein Können weitergeben. „Ich war zwar nicht der beste Breakdancer, aber ich kannte mich mit dem Lehren aus und hatte die Empathie und den Blick dafür, wie andere ihre Bewegungsabläufe verbessern können. Man sollte als Lehrer zwar den Anspruch haben, einer der Besten zu sein, aber viel wichtiger ist es, dass man den richtigen Blick für diese Arbeit hat.“

 

Der Schritt auf die internationalen Bühnen

Durch seine Arbeit lernte Noran den Tänzer David White kennen und fasste mit ihm den Entschluss, eine Tanzcrew zu gründen – die Geburtsstunde von Special Delivery. „David lehrte damals wie heute Dancehall Fitness. Die Bewegungen ergänzten mein Hip-Hop-Repertoire sehr gut. Um nach Mitstreitern für unser Dance-Crew-Projekt zu suchen, sind wir einfach gemeinsam in Diskotheken gefahren und haben uns die hübschesten Mädels und freshesten Typen ausgesucht, die sich wirklich bewegen konnten.“ Was dabei herauskam, war ein tänzerischer Stilmix aus 21 Personen. Sechs Stunden täglich wurde gemeinsam trainiert, getestet und Choreografien perfektioniert. Noran übernahm dabei stets die Rolle des Trainers, des Choreografen, des Organisators und kümmerte sich um Proberäume und die richtige Musikauswahl. Doch die Arbeit zeichnete sich schnell aus: „Special Delivery“ sahnte regelmäßig Preise ab und machte sich international einen Namen als außergewöhnlich gute Tanzgruppe.

 

Weltmeister aus Gifhorn

Im Laufe der Jahre verkleinerte sich die Gruppe nach und nach. Vielen wurde der Druck und der Stress zu groß. Alte Tänzer gingen, Neue kamen. 2015 schließlich, mit nur fünf Tänzern, beschlossen die übrig gebliebenen Crew-Member, zur Weltmeisterschaft in die U.S.A. zu fliegen. Und tatsächlich: Special Delivery konnten den Weltmeistertitel holen! „Es waren Gruppen aus Japan, Frankreich, Ägypten und sonst so mit am Start. Dort, aus Gifhorn kommend das Feld anzuführen, war eine unglaubliche Erfahrung für uns. Es hat uns den Blick dafür geöffnet, dass du dich nicht kleiner machen solltest als du bist und es egal ist, wo du herkommst. Es zählt nur, wo du hingehst.“ Mit der höchsten Auszeichnung in der Hand, die sich die Crew jemals hätte erträumen können, ging es schließlich wieder zurück nach Gifhorn, wo Noran nebenbei bereits seit sechs Jahren als Gründer und Geschäftsführer das Tanzhaus Gifhorn leitet.

Homebase Gifhorn

Das Tanzhaus zu gründen war eine Idee, die aus Special Delivery heraus gewachsen ist. „Wir waren viel auf Reisen und haben immer dort geprobt, wo es gerade ging. Das Bedürfnis, eine Homebase zu haben, hat mich dazu veranlasst, das Tanzhaus zu gründen“, erzählt Noran. „Meine Jungs waren dabei von Anfang an an meiner Seite und haben mich supported.“ Noch heute lehren Special-Delivery-Mitglieder im Tanzhaus. Die Crew selbst hat sich mittlerweile eine Auszeit genommen. „Der Titel war für uns Top Notch – irgendwie ging es nicht weiter. 2016 haben wir uns dann gerade so nicht qualifiziert. Wir haben plötzlich gemerkt, der Fall ist jetzt viel höher als der Aufstieg noch werden kann. Und so kam dann langsam der Gedanke, dass es vielleicht ein Rückschritt wäre, sich nochmal in eine Quali für eine andere WM oder Ähnliches zu begeben. Der Titel hat uns viele Türen geöffnet, Referenzen gegeben und hat uns geholfen, angesehener und gesellschaftsfähiger wahrgenommen zu werden – auch national. Wir haben beschlossen, dass jeder erstmal sein Ding als Trainer durchzieht“. Der Spitzensport ist dennoch täglicher Begleiter in Norans Leben. Diverse Wettkampfgruppen haben sich aus dem Tanzhaus heraus entwickelt und werden von Noran als Trainer, Coach und Organisator betreut.

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Internationale Szenegrößen zu Besuch im Tanzhaus

Um im Tanzhaus Gifhorn als Trainer arbeiten zu können, bewerben sich mittlerweile Tänzer aus ganz Deutschland. Doch auch internationale Größen sind keine Seltenheit. Immer wieder finden Workshops, wie mit dem Choreografen von Michael Jackson, Parris Goebel aus Neuseeland oder Tänzern der Michael Jacksons „This is it Tour“ im Tanzhaus statt. Das Geheimnis des Tanzhauses ist laut Noran, die Beständigkeit und das immer größer werdende Netzwerk, das sich durch die vielen Wettkämpfe national und international ergibt. Aus Gifhorn wegzuziehen, kam Noran nie in den Sinn: „Ich mag Gifhorn. Wenn du rauskommst und viel um die Ohren hast – wir waren in San Diego, Las Vegas, Kanada und so weiter – ist es schön, zurück in seine kleine stille Oase zu kommen. Gifhorn ist ein verborgener Goldschatz, mit Spirit, den ich gerne erhalten möchte und der Leute international herlockt.“ Auch ich bin baff von den Eindrücken, die ich im Tanzhaus sammeln durfte, dem Spirit und den vielen Menschen, denen man die Leidenschaft für den Sport anmerkt. Danke Noran, dass ich vorbeikommen durfte! Wenn ich mal Spitzentänzer brauche, weiß ich nun, an wen ich mich wenden werde.