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Laut, mitreißend und gute Laune verbreitend
Die Sambagruppe „Banda Racuda“

Es ist kalt. Es regnet. Und ich frage mich gerade, warum ich auf dem Helmstedter Marktplatz stehe, als plötzlich Bewegung auf den Platz kommt. Rot gekleidete Männer und Frauen formieren sich. Die Sambagruppe „Banda Racuda“ eröffnet die Veranstaltung und stimmt ihre Trommeln. Gut, die kann ich ja noch abwarten, aber dann ... Rasante Sambarhythmen unterbrechen meine weiteren Gedankengänge. Wow! Diese Rhythmen gehen sofort in meine Beine und schon bald wippe ich im Takt mit.

Don’t worry, be happy

Zu Hause schaue ich mir meine Aufnahmen an. Die Gruppe ist einfach toll! Sie hat mich doch tatsächlich das norddeutsche Regenwetter vergessen lassen. Also auf, um mehr über diese Sambagruppe zu erfahren. Zweimal die Woche proben die Mitglieder von „Banda Racuda“ in Barmke, einem kleinen Ortsteil von Helmstedt. Herzlich werde ich von allen Mitgliedern begrüßt. Alles wirkt locker und ungezwungen. Ohrstöpsel werden mir gereicht und schon geht es los. Die Trommeln lassen den Boden erbeben. Tief in mir löst dieser Rhythmus jegliche Bewegungsblockaden auf und ohne das ich es will, beginnt mein Körper mitzuwippen. Die Gruppe probt beharrlich ihre Stücke. Alle beginnen zu schwitzen. Ausdauernd trommeln die Mitglieder weiter. Obwohl ihnen die Anstrengung ins Gesicht geschrieben steht, merke ich kaum, dass ich mich auf einer Probe befinde. Für mich klingt alles ziemlich stimmig. Motiviert spielen sie ihre Rhythmen. Lachen, tanzen, trommeln. Dass Samba Spaß macht, ist offensichtlich.

Erste Gehversuche mit der Surdo Domo

Ihr „Dirigent“ Stefan scheint gnadenlos und treibt die Trommler stetig an. Keiner murrt. Fast alle schütteln nur schmunzelnd ihre Köpfe. Beim nächsten Durchlauf spielen sie ihre Stücke komplett fehlerfrei. Stefan lobt anerkennend; ist sichtlich zufrieden. Endlich darf die Gruppe eine kleine Pause machen und ich bekomme einen Grundkurs über den Sambastil von „Banda Racuda“. Die Gruppe spielt ausschließlich mit Perkussions, sprich Schlag- oder Effektinstrumenten. „4/4-Takt wird gespielt“.  „Ähh …“, denk ich. Jetzt rächt es sich, dass ich Musiktheorie geschwänzt habe. Stefan winkt ab. „Immer zählen“, meint er: „Eins, zwei, drei, vier und eins, zwei …, irgendwann brauchst du nicht mehr zu zählen, dann hast du den Rhythmus drauf.“ Okay, denke ich, hört sich jetzt nicht so schwierig an. „Also, du spielst gleich eine Surdo Domo und schlägst ...“ Stopp! Panik macht sich in mir breit. Ich wende zweifelnd ein, musikalisch vollkommen talentfrei zu sein. Aber Stefan lacht nur. „Ja, ja, das sagen sie alle!“

 

Surdo mit Agogó

Jeder Trommler schlägt zu unterschiedlichen Zählzeiten an. Die Surdo Segunda wird beispielsweise auf die Zwei und Vier angeschlagen. Die Surdo Primera dagegen auf die Eins und Drei. Und andere Perkussions werden zum Teil bis zu 16 Mal angeschlagen. Puuh! „Schaue einfach auf Andi, wenn er anschlägt, schlägst du auch an“, beruhigt mich Stefan. „Wir sind alle Laien“, meint er noch und schon nehmen die Mitglieder erneut ihre Aufstellung ein. Hinten befinden sich die großen markanten Surdos. Mit ihren tiefen Basstönen legen sie das rhythmische Fundament. Sie sind sozusagen die Seele des Sambas. Die unterschiedlichen kleineren Trommeln vorne erschaffen einen harmonischen Klangteppich und sorgen für Schwung. Dazu gehören: Die Caixas, eine Art Snare. Die Timbas, große Handtrommel. Die Repiniques, mittlere Trommeln und die Tamborims, kleinere Handtrommel. Aber auch Effektinstumente gehören zu diesem Sambastil, wie die Ganzás, verschiedene Rasseln oder die Apito, ähnlich einer Trillerpfeife. Ihre musikalischen Akzente machen das Stück erst unverwechselbar.

 

Austausch statt Konkurrenz

In Rio de Janeiro spielt Samba während des Karnevals eine bedeutende Rolle. Dann ziehen schillernd geschmückte Tänzerinnen mit ihrer „Bateria“ durch die Straßen und verbreiten gute Laune. Dieser Sambastil besitzt einen gleichmäßig treibenden Rhythmus und „groovt“ so gut, dass er weltweit bekannt ist. Eine Trommelgruppe von mindestens zehn Trommlern darf sich als „Bateria“ bezeichnen. Die Sambastücke des Karnevals sind frei erhältlich. Dadurch können Sambagruppen in „Workshops“ von anderen „Baterias“ oder Sambamusikern diese Stücke erlernen. Es gibt unter den „Baterias“ keine Konkurrenz. Man tauscht und hilft sich aus. Ganz klar, auch „Banda Racuda“ lernt auf diese Weise ihre neuesten Stücke. „Samba ist ein sehr zeitintensives Hobby“, erfahre ich von Britta, der ersten Vorsitzenden der Sparte „Rhythmische Sportgymnastik“ des TSV Barmke. Diese Sparte, also „Banda Racuda“ zählt zurzeit fünfundzwanzig Trommler und sucht stetig Nachwuchs, um noch eindrucksvoller zu klingen. Das jüngste Mitglied, Lenny, ist vierzehn und trommelt seit seinem zehnten Lebensjahr in der Gruppe. Mit seiner Agogó, zwei unterschiedlichen Glocken, setzt er markante Soli.

Ehrenamt verbindet
Bürgerliches Engagement in der Region

Learning by Doing

Ich stehe in der hintersten Reihe und das Gewicht meiner Trommel zieht mich nach unten. Gespannt schaue ich auf meinen Trommelnachbarn Andi. Er spielt eine Surdo Segunda und ist damit, wie die Surdos Primeras, einer der Pulsgeber des Stücks. Angespannt verfolge ich seine Trommelschläge. Spiele das erste Stück immerhin sporadisch durch. Beim zweiten Stück werde ich deutlich sicherer. Stefan pfeift mit seiner Apito wie ein Schiedsrichter die unterschiedlichen Zwischenspiele an. Breaks heißen diese. Zusätzlich dirigiert er die Gruppe mit Zeichen. Alle Trommler müssen Stefan wachsam im Blick haben und ganz nebenbei im Takt trommeln. Als ich es wage, meinen Blick von meinen Trommelschlägen abzuwenden, um nach vorne zu schauen, fällt mir im großen Spiegel auf, das ich mich völlig gegenläufig zur Gruppe bewege. Krampfhaft versuche ich, das auszugleichen, doch es funktioniert nicht. Zwar wippt meine Körper mit, nur leider in die falsche Richtung. Fast verzweifle ich, da unterbricht Stefan und lobt mich überraschend. „Du hältst den Takt schon super.“

 

Multitasking at ist best

Hochkonzentriert trommle ich weiter. Stefan gibt der Gruppe ein Zeichen und übergangslos beginnen alle einen „Flow“. So nennen sie es, wenn sie mit ihren schweren Trommeln eine Choreografie tanzen, die intuitiv, aber nicht chaotisch wirken soll. Ich passe! „Sich bewegen und gleichzeitig einen stabilen Trommelrhythmus halten, ist eine Herausforderung“, verrät mir Stefan in der Pause. „Das üben wir ständig! Selbst zu Hause beim Kochen“, lacht Andi. Zusammen mit meiner Trommelnachbarin Anja, die eine Surdo Primera spielt, übe ich eine simple Schrittfolge, damit ich „Trommeln mit Bewegen“ besser meistere. „Das kriegen wir schon hin“, ermutigt sie mich. Zuversichtlich probe ich weiter. Die Zeit verfliegt. Bald bekomme ich ein Gespür für den Rhythmus. Die geübte Schrittfolge trägt ebenfalls Früchte. Meine Bewegungen synchronisieren sich mit der Gruppe. Auch höre ich wieder das gesamte Stück und nicht nur meine Trommelschläge. Langsam löst sich meine Anspannung. Kräftig und sicher schlage ich meinen Takt. Jetzt macht es richtig Spaß! Laut, mitreißend und gute Laune verbreitend, das ist für mich „Banda Racuda“.