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Header image Stephanie Joedicke

Region Braunschweig-Wolfsburg:
Wie Netzwerke Innovationen hervorbringen

Energiemangel, Ressourcenknappheit, Mobilitätswende – Herausforderungen, die viele erst einmal ermüden, so groß erscheinen sie. Aber an ganz konkreten Lösungen wird in der Region Braunschweig-Wolfsburg gearbeitet. Möglich wird das durch enge unternehmerische Kooperationen und offenen gegenseitigen Wissensaustausch auch mit der hochspezialisierten Wissenschaft. Das Ergebnis sind bahnbrechende Innovationen, die schon jetzt im industriellen Maßstab umgesetzt werden.

Stand: 29.6.2023

„Für eine Erfindung braucht man Fantasie und einen Haufen Schrott“, sagte einst Thomas Edison, der Erfinder der Glühbirne. Das war im 19. Jahrhundert. Heute sind meist zusätzliche Dinge wichtig, vor allem, wenn es um vergleichbar wegweisende Innovationen geht.

Neue, umweltfreundliche Energieträger und die Wiederverwertung von (seltenen) Rohstoffen erfordern mehr als das Wissen, die Erfahrung und die Kreativität einer einzigen Person. Hier sind Kooperationen gefordert, die Zusammenarbeit von Organisationen aus Wirtschaft und Staat. Die Region Braunschweig-Wolfsburg hat den Vorteil, dass hier führende Industrieunternehmen in vielen Bereichen engmaschige und für alle Seiten profitable Netzwerke aufbauen, um Innovationen zu fördern. 

Wundermittel Wasserstoff?
Forschung und Anwendung in der Region

Wasserstoff Campus Salzgitter: „Wasserstoff beginnt heute“

„Und zwar im industriellen Maßstab“. So klingt es im Wasserstoff Campus in Salzgitter. Hier werden die Voraussetzungen geschaffen, die Technologie schnell in breite Anwendungsbereiche zu bringen. Um diesen Prozess entlang der gesamten Wertschöpfungskette umzusetzen, arbeiten mehrere Unternehmen wie die Salzgitter AG, Bosch und der Zugbauer Alstom eng zusammen mit der Politik und Wissenschaft und schaffen mit ihrer jeweiligen Expertise eine gemeinsame Plattform für die konkrete Weiterentwicklung der Wasserstoffmobilität, der Speicherung in Stahltanks, der Dekarbonisierung der Wertschöpfungskette und der „grünen“ Wasserstoffversorgung für die Region Salzgitter.

Eine Grafik über den Wasserstoff Campus in Salzgitter. Wasserstoff Campus Salzgitter
Der Wasserstoff Campus in Salzgitter soll auch für die Öffentlichkeit die Forschung in der Wertschöpfungskette des Wasserstoff-Kreislaufs verständlich machen und als Austauschort für das Wasserstoff-Netzwerk dienen.
Pionierleistung der Salzgitter AG
Video zur Stahlproduktion mit grünem Wasserstoff: SALCOS

Salzgitter AG, Bosch, Alstom & Co: Ein industrieller Aufbruch dank enger Vernetzung

Dass diese Plattform nicht nur ein Projektbüro oder eine Website ist, wird auf dem Gelände der Robert Bosch GmbH in Salzgitter deutlich.
Eine umgebaute Halle, hochmodern, präsentiert hier die verschiedenen Projekte und bereitet sie auf: Für interessierte Unternehmen, Fachkräfte und die Öffentlichkeit, die Wasserstoff als Zukunftstechnologie begreifen. Die Transformation von Fabriken auf Wasserstoffnutzung wird hier nicht nur in der Theorie erforscht, sondern direkt im laufenden Betrieb umgesetzt.

Portrait von Dr.-Ing. Sabrina Zellmer.

„Wir wollen durch technologische Zusammenarbeit weitere Prozesse, Produkte und Verfahren entwickeln, die positiv auf die Region und natürlich darüber hinaus ausstrahlen."

Dr.-Ing. Sabrina Zellmer ist Abteilungsleiterin Verfahrens- und Fertigungstechnik für nachhaltige Energiespeicher am Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST

Diese tiefe Verankerung in der Praxis ist auch ein Alleinstellungsmerkmal des Wasserstoff Campus. Beispielsweise gibt es Maßnahmen bei der Salzgitter AG, die den Co2-Fußabdruck des Stahlwerks im Rahmen eines Projektes bereits um mindestens 50 Prozent senken konnten oder ein reales Fabrik-System bei der Bosch GmbH, welches bereits unterschiedliche Nutzungen, Kombinations- und Speichermöglichkeiten von Energieträgern erprobt.

„Obwohl wir hier große Industriepartner wie die Salzgitter AG oder Bosch dabeihaben, haben wir durch den Wasserstoff Campus in allen Bereichen kurze Wege, um in unserem Netzwerk genau die richtigen Ansprechpartner zusammen zu holen und daraus neue Projekte zu etablieren“, sagt Dr. Sabrina Zellmer, Abteilungsleiterin Verfahrens- und Fertigungstechnik für nachhaltige Energiespeicher am Fraunhofer IST.

Das übergeordnete Ziel sei wirklich, so Zellmer, Wasserstoff in unserer Region erlebbar und für jeden konkret nutzbar zu machen, etwa durch die Versorgung von Kitas, öffentlichen Gebäuden oder Mietwohnungen. „Das hat dann auch Modellcharakter für Deutschland und Europa“, sagt sie.

Damit Verständnis und Interesse für den neuen Energieträger geweckt und aufrecht erhalten werden kann, entwickelt der Wasserstoff Campus ein niedrigschwelliges Bildungsprogramm. „Wenn nicht nur die Industrie verstanden hat, welchen Mehrwert Wasserstoff bringt, sondern wenn irgendjemand auf der Straße sozusagen seine eigene Geschichte zum Thema Wasserstoff erzählen kann - das wäre die Region, die ich mir vorstellen würde“, sagt Sabrina Zellmer. 

Landkreis Helmstedt: Die Experten in der Energieerzeugung

Wie also bereits gelesen, gibt es hier beste Voraussetzungen, eine regionale Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Verschiedene Projekte sind bereits vernetzt und werden noch stärker kooperieren, um weitere Synergien zu ermöglichen. Dementsprechend selbstbewusst bewarb sich der Landkreis Helmstedt stellvertretend für die gesamte Region Braunschweig-Wolfsburg als „HyExpert"-Region Südostniedersachsen für eine entsprechende Förderung des Bundesministeriums für Verkehr und Digitale Infrastruktur. Mit Erfolg: Für die Planung und Umsetzung eines Wasserstoff-Gesamtkonzeptes erhielt die Region 400.000 Euro. Konkret geht es um ein regionales Wasserstoff-Tankstellenkonzept für Schiene und Straße, der Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten und die Erstellung einer Dachmarke für die „Wasserstoffregion SüdOstNiedersachen“.

Nicht nur der übergreifende Strukturwandel von Verbrennermotoren zu alternativen Antrieben, sondern auch jener von Kohle zu Wasserstoff als Energielieferant für die Industrie ist der Hintergrund für den geplanten Umbau des alten Helmstedter Braunkohlereviers zu Niedersachsens "größter grüner Energielandschaft". Auf dem 2700 Hektar großen Gebiet sollen einmal 20 leistungsstarke Windräder und 300 Hektar Solaranlagen-Freifläche bei optimalen Bedingungen  bis zu 400 Megawatt Energie liefern - mit welcher sich beispielsweise grüner Wasserstoff herstellen ließe.

Ob, wann und wie dieser Umbau in der geplanten Dimension stattfinden kann, soll ein Gutachten beurteilen. Die Energie-Infrastruktur wäre mit dem Kraftwerk Buschhaus sowie dem bestehenden Strom- und Gasleitungsnetz jedenfalls vorhanden.

Infografik über das Helmstedter Revier. Jürgen Runo
Das Helmstedter Revier - hier in einer Infografik von Jürgen Runo - könnte ein Produktionsstandort für erneuerbare Energien und damit Teil einer regionalen, grünen Wasserstoffwirtschaft werden.

REWIMET: Netzwerk zur Versorgungssicherheit bei wichtigen Rohstoffen

Lieferkettenrisiken, Preisexplosionen und Rohstoffmangel: Die großen Verunsicherungen, welche die Weltwirtschaft seit einigen Jahren erschüttern, sind auch eine Bedrohung für die Metallindustrie im Harz.

„Wir können uns nicht darauf verlassen, dass wir immer ausreichend Mengen an Primärrohstoffen bekommen“, mahnt Dr. Dirk Schöps. Der Wissenschaftler ist Cluster-Manager von REWIMET, dem „Recyclingcluster Wirtschaftsstrategischer Metalle“. Hier haben sich Universitäten wie die TU Clausthal, die TU Braunschweig und die Ostfalia mit Unternehmen aus der Metallweiterverarbeitung und Kommunen vor allem aus dem Landkreis Goslar zusammengeschlossen, um gemeinsam die Rohstoffbasis um die Recyclingrohstoffe zu erweitern. „Die liegen vor unserer Tür und sind nicht den Störungen der Logistik in der Weltwirtschaft unterworfen, auch nicht der politischen Willkür einzelner Machthaber“, betont Schöps.

Der Ansatz von REWIMET ist es, als Netzwerk Innovationen zu fördern, welche durch Recycling die Versorgungssicherheit mit kritischen Rohstoffen erhöhen, etwa Wolfram oder Lithium. Beide werden für die Herstellung von elektrischen Geräten wie Batterien oder in der Medizin- und Luftfahrttechnik eingesetzt.

Auch wenn sich in der jüngsten Zeit die Lage bei diesen Rohstoffen etwas entspannt hat, gibt es ein weiteres Hauptargument für REWIMET: „Mit dem Recycling von Metallen leisten wir einen enormen Beitrag zum Klimaschutz“, sagt Dirk Schöps. Eine stetig hochzählende „Uhr“ auf der Website zeigt an, wie viel Tonnen CO2 das Recycling-Cluster der Atmosphäre schon erspart hat.

Dr. Dirk Schöps, Cluster-Manager von REWIMET

„Wir haben viele Hidden Champions, Anlagen und Player mit Weltgeltung, die keiner kennt, weil sie sich nicht an Endkunden wenden.“

Dr. Dirk Schöps, Cluster-Manager von REWIMET

Von seltenen Erden zum Batterie-Recycling
Ein regionaler Kreislauf

Als Beispiel nennt er Projekte zur energie- und materialsparenden Prozessführung oder ein Projekt zur Verhinderung von Batteriebränden in der Lagerung von Elektro-Altgeräten. „Hier hat die Elektrocycling GmbH aus Goslar mit der Stöbich Brandschutz ein System entwickelt zur Früherkennung von Bränden mit einem Multisensor-System und der Löschvorrichtung, die man braucht, wenn es irgendwo warm wird.“

Wenn Menschen sich treffen und sich gegenseitig erzählen, was sie tun, was sie können und möchten – in diesen persönlichen Begegnungen „ist ganz viel Potenzial zu heben“, ist sich Dirk Schöps sicher. Die Gelegenheiten für diesen vertraulichen Austausch zu schaffen, dafür arbeitet der Wissenschaftler mit sehr viel Energie.