Eine Teilnehmerin sitzt auf einem Heimtrainer-Bike und lädt durch Muskelkraft die Batterie eines E-Autos. Maik Reepschläger

Weltrekord bei VW:
Wieviel Muskelkraft braucht eine E-Auto-Batterie?

Ein Weltrekordversuch in Braunschweig! Und dann auch noch für den guten Zweck. Das klingt gut und deshalb gehe ich an diesem Wochenende in die neue Logistikhalle von Volkswagen. Hier soll versucht werden, durch reine Muskelkraft beim Radfahren so viel elektrische Energie zu erzeugen, dass damit ein E-Auto, VW ID.3, für mindestens 100 Kilometer Reichweite geladen werden kann. Ob es klappt?

Im Gewerbegebiet an der Hansestraße befinden sich die großen Hallen der Volkswagen Group Components. In einer davon, erst im November 2019 neu eingeweiht, soll der Weltrekordversuch starten. Ich werde vom Werksschutz angewiesen, direkt hinter dem Wagen von Umwelt- und Energieminister Olaf Lies zu parken: „Bitte nicht zuparken, aber direkt dahinter geht in Ordnung“, erklärt mir der freundliche Mann.

Wummernde Bässe und treibende Beats

Den Weg zum Eingang finde ich schnell. Er wird mir durch wummernde Bässe und die treibenden Beats, die mit jedem Schritt Richtung Tür lauter werden, eindeutig gewiesen. Drinnen scheint es gut abzugehen, denn ich höre neben der Musik auch jemanden, der die Radfahrer motiviert, in die Pedale zu treten. Da wird also schon ordentlich Energie erzeugt!

Ich öffne die Tür und neben den akustischen Eindrücken gibt es sofort auch den olfaktorischen: Hier riecht es nach Anstrengung! Und zwar jetzt schon seit fast 23 Stunden. Denn der Weltrekordversuch begann am Freitag, den 21. Februar um 18 Uhr und jetzt ist Samstag, der 22. Februar, kurz vor fünf. Als ich die dunkle Halle betrete, sehe ich sofort den „roten Teppich“ – auf dem das hochmoderne Elektrofahrzeug ID.3 von Volkswagen steht. Der schicke hellgraue Wagen gefällt mir sehr gut. Aber noch sind die Studenten der Jade-Hochschule Wilhelmshaven mit Laptop dabei, den ID.3 auf seine Rekordfahrt vorzubereiten.

Ralph Butzin strengt sich auf dem Fahrrad an, um die Batterie des E-Autos zu laden. Maik Reepschläger.
Ralph Butzin (Mitte) gibt ebenfalls alles.

Direkt neben dem Auto ist die Tribüne aufgebaut, auf der für den Weltrekord gestrampelt wird. Hier stehen auf engstem Raum 100 Spinning-Räder, ausgestattet mit je vier Dynamos, die dann letztlich die Batterie des E-Fahrzeugs laden sollen. Jedes Rad ist besetzt, hier wird sich richtig ins Zeug gelegt – insbesondere als Ralph Butzin (National Cycling Academy NCA), Organisator des Events, die Radler von der Bühne aus auffordert: „Gebt noch mal richtig Gas, fünf Minuten lang volle Leistung!“ Der Mann weiß, wovon er spricht, denn er selbst fährt mit voller Leistung mit. Ebenso wie die hundert Teilnehmer, die gerade auf dem Rad sind – alles untermalt von Musik und peppigen Lichteffekten, denn schließlich soll es ja auch Spaß machen!

Alles geben für das E-Auto: Motivation der Fahrer durch Ralph Butzin. Maik Reepschläger
Ralph Butzin motiviert die Fahrerinnen und Fahrer.

100 Teams mit fast 2000 Teilnehmern

Dass es Spaß macht, bei diesem Weltrekordversuch dabei zu sein, bestätigt mir Janine. Sie war schon am Freitag bei der Eröffnung dabei, geradelt ist sie jedoch erst am Samstag zwischen 15 und 16 Uhr. Ihr Team von VW Group Services besteht aus circa 15 Leuten, genau kann sie es gar nicht sagen, denn sie ist eingesprungen, als jemand ausfiel. „Die Teams waren total schnell voll“, bestätigt sie mir. Für sie war es Ehrensache, dann sofort den Platz zu besetzen, denn „wir helfen uns untereinander gerne“. Sie macht sonst gar kein Spinning, aber letztens hat Janine Aquacycling ausprobiert. Wie ihr das Event bis jetzt gefallen hat, möchte ich noch von ihr wissen. „Es hat total viel Spaß gemacht, man wird super motiviert und so geht es die ganze Zeit weiter“, berichtet sie. Vor allem die gute Stimmung hier gefällt ihr. Ob der Weltrekord geschafft wird? Janine ist sich sicher: „Ja!“

Karin vom Orga-Team der NCA findet die Stimmung in der Halle und im „Backstage“-Bereich ebenfalls super und sehr angenehm. Sie ist beeindruckt davon, wie jeder das gemeinsame Ziel erreichen will. Und dass diese gemeinsame Sache dann auch noch einem guten Zweck zugute kommt: Die Startgelder werden als Spende an die Klinik-Clowns des Städtischen Klinikums Braunschweig überreicht. Natürlich ist auch das Klinikum selbst mit einem Team dabei und stellt gerade eine Fahrerin oder einen Fahrer unter den 100 aktiven Radlern. Über die 24 Stunden verteilt sind übrigens 1989 Fahrerinnen und Fahrer am Start!

Kein Weg zu weit – Sportler aus ganz Europa und sogar Mexiko

Die Teams sind jeweils ganz unterschiedlich groß, weiß Karin. „Teilweise teilen sich 24 Leute ein Rad“, erzählt sie mir. Bei kleinen Teams mit nur zwei bis drei Leuten müssten die Teilnehmer dann eben entsprechend länger fahren und seien schon mal statt nur einer Stunde gleich sechs oder gar acht dabei. Respekt, kann ich da nur sagen!

Die begeisterten Radfahrer kommen übrigens aus 23 verschiedenen Nationen. „Der Teilnehmer mit dem weitesten Weg kommt sogar aus Mexiko, er sitzt gerade mitten drin“, sagt Karin ganz beeindruckt. Aber natürlich sind auch Teams aus unserer Region vertreten, aus ganz unterschiedlichen Unternehmen, aber selbstverständlich auch von Volkswagen.

 

Mittlerweile ist es 17:30 Uhr und die große Anzeige am Rande der Bühne zeigt, wie viel Leistung bis jetzt in 23,5 Stunden erfahren wurde: ca. 19,32 kWh. Der grüne Balken zeigt, dass damit 77,27 Prozent von den geplanten 25 kWh erreicht sind. Eine gelbe Anzeige zeigt an, wie viel Watt gerade insgesamt von den 100 Fahrern und Fahrerinnen erzeugt werden ­– in dieser Minute genau 1.033 Watt! Und das nur mit Muskelkraft, ohne Tricks. Aber wenn man mich fragt, dann ist die Energie, die in dieser Halle gerade zu spüren ist, noch viel, viel höher! Damit würde der ID.3 locker auch 1.000 Kilometer schaffen.

Die Energie-Anzeige für die Batterie des E-Autos haben die Teilnehmer immer im Blick. Maik Reepschläger.
Immer im Blick: die Energie-Anzeige.

Ich sehe mich ein wenig im Backstage-Bereich um. Hier präsentieren sich alle Sponsoren und Unterstützer des Weltrekordversuchs, hier können die Teilnehmer sich ausruhen, essen und trinken, wenn sie nicht gerade auf dem Rad sitzen. Das Penta-Hotel hat eine gemütliche Sitzecke eingerichtet, bevor es später alle Teilnehmer zur Weltrekord-Party einlädt. Im „Erholungs- und Schlafbereich“ stehen Feldbetten, doch gerade hält es natürlich niemanden mehr auf der Liege. Und passend zum Thema kann man ein zum e-Käfer umgebautes Cabrio bestaunen.

Karin vom Service-Team des NCA betreut den Weltrekordversuch rund um das E-Auto. Maik Reepschläger
Karin vom Service-Team des NCA ist begeistert von der Stimmung.

Die Rekordfahrt startet

Applaus brandet auf, ich kehre zurück zur Spinning-Halle. Es ist vollbracht! Alle klatschen, sowohl die Radler, die sich bei ihren Mitfahrern auf der Bühne bedanken als auch die Organisatoren und Motivatoren und natürlich auch alle Zuschauer. Ein echter Gänsehautmoment! Dann kommt Umweltminister Olaf Lies auf die Bühne, angereist aus Wangerooge. Auch er freut sich über die gute Stimmung hier in Braunschweig. „Danke dafür, ganz stark!“, sagt er ins Mikrofon. „Und auch ganz großen Respekt für die Sponsoren und die Organisatoren!“ Dem kann ich nur zustimmen. Und in diesen bewegten Zeiten hält Minister Lies noch ein kurzes Plädoyer: „Das hier ist ein Event gegen Hass, gegen Spaltung und für unsere Demokratie!“ Recht hat er!

Anschließend geht es zum E-Auto ID.3, dessen Batterie inzwischen mit Muskelkraft geladen wurde und das für die Weltrekordfahrt bereit ist. Hier steht auch Jörg Zeller, der Produktionsleiter für Batteriesysteme aus dem Volkswagen-Werk Braunschweig, der gemeinsam mit Ralph Butzin die Idee zu diesem Weltrekordversuch hatte: „Ich habe Ralph Butzin damals in Hildesheim getroffen und wir haben über diese Idee gesprochen. Es hat dann noch gut zwei Jahre gedauert, bis wir das alles umsetzen konnten, denn wir wollten eine geeignete Location dafür haben und es sollte unbedingt mit dem ID.3 sein.“ Das alles ist den beiden sehr gut gelungen!

Es ist jetzt kurz nach 18 Uhr, die Spannung steigt. Wird der ID.3 wie geplant starten? Wird er mindestens 100 Kilometer weit mit der Ladung kommen? Wird der Weltrekord vom Versuch zur Gewissheit? Olaf Lies setzt sich unter erneutem Applaus ans Steuer und fährt los. Das schnittige E-Auto mit dem Kennzeichen BS-FR 760E rollt lautlos über den roten Teppich und aus der Halle. Die Rekordfahrt ist gestartet.

Zur Weltrekordfahrt verlässt das E-Auto ID.3 die Halle. Maik Reepschläger
Der ID.3 verlässt die Halle zur Weltrekordfahrt.

Weltrekord!

Kurze Zeit später ist es klar: Der Weltrekordversuch ist geglückt! 100 Teams haben es in 24 Stunden geschafft, die Batterie des ID.3 allein durch reine Muskelkraft beim Indoorcycling so voll zu laden, dass es für 111 Kilometer reichte. Offiziell beurkundet wird die Leistung durch das Rekordinstitut für Deutschland (RID) und eingetragen in das RID-Rekordregister in der Kategorie „weiteste E-Auto-Strecke (ID.3) mit rein menschlich erzeugter Energie in 24 Stunden“. Offizieller Weltrekord.

Übrigens: Es war auch die erste offizielle Fahrt eines ID.3 auf öffentlichen Straßen, denn das E-Fahrzeug kommt erst im Sommer auf den Markt. Und weil sich die 111 Kilometer so gut auf dem Tacho gemacht haben, wurde den Klinik-Clowns dann anschließend die Spendensumme von 11.111 Euro – aufgerundet auf diese Summe von Andrew Munt, Vice President Penta Hotels Worldwide – überreicht.