Verzicht auf Überkonsum, auf Flugreisen, sogar auf den Führerschein: Inga Stang war schon immer ein eher umweltbewusster Mensch. Interesse, Neugier und der Wunsch, viel von der Welt zu sehen, ließen sie aber auch in den Flieger steigen. Doch das schlechte Gewissen schwingt in der Luft immer mit. Klimaneutrales Fliegen? Hier könnte die Forschung in Braunschweig einige Schritte vorankommen. Ein Besuch im Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen der TU Braunschweig.
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Nachhaltiges Fliegen ohne Gewissensbisse
Zukunftsvisionen für die Luftfahrt made in Braunschweig
Damit sich der Wunsch nach Reisen mit dem Wunsch nach Umweltverträglichkeit vereinen lässt, suchen europaweit Wissenschaftler*innen nach Lösungen, die klimaneutrales Fliegen ermöglichen sollen. Einer der deutschen Hotspots dieser Forschung liegt in Braunschweig. Am Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen (IFAS) entwickeln diverse Doktorand*innen klimafreundliche Zukunftsvisionen, über die ich mich mit Institutsleiter Jens Friedrichs unterhalten durfte.
Kerosin und seine Folgen für die Umwelt
Jens Friedrichs und seine Kolleg*innen gehören zum Exzellenscluster SE²A - Sustainable and Energy-Efficient Aviation. Exzellenzcluster sind Verbundforschungsprojekte in international wettbewerbsfähigen Forschungsfeldern an Universitäten oder in Universitätsverbünden. Das Cluster SE²A vereint Forschende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, der Leibniz Universität Hannover, der PTB und der Technischen Universität Braunschweig. Gemeinsam erforschen sie, wie Flugzeuge künftig angetrieben werden müssen, damit ihre Emissionen keinen Schaden mehr in unserer Atmosphäre anrichten.
Der Hauptverursacher dieser Emissionen ist das Kerosin. Der Kraftstoff wird aus Mineralöl gewonnen und hinterlässt, wenn er verbrannt wird, große Mengen CO₂ sowie Stickoxide und weitere Emissionen wie Wasser-, Ruß- und andere Kleinstpartikel, die in hohem Maße die Umwelt belasten. Um die Luftfahrt langfristig klimaneutral zu machen, erklärt Jens Friedrichs, sei es daher unabdingbar, weg vom Kerosin zu kommen und für klimaneutrales Fliegen auf neue Antriebe zu setzen.
Keine One-Fits-All-Lösung für klimaneutrales Fliegen in Sicht
Seit nunmehr zehn Jahren wird intensiv an neuen Antriebsmechanismen für klimaneutrales Fliegen geforscht. Deutlich wurde laut Friedrichs hierbei vor allem eines: voraussichtlich wird es nie die eine Lösung für alle Situationen geben. Jeder neue Antrieb hat seine Vor- und Nachteile, die sich entweder auf die Reichweite oder die Kosten beziehen. Auch der Umgang mit entstehenden Wassertropfen, die ebenfalls über Kondensstreifen die Atmosphäre verändern können, wird intensiv erforscht.
Besonders klimafreundlich, da komplett emissionsfrei, ist das elektrische Fliegen. Würde man Flugzeuge mit Batterien ausstatten und diese mittels nachhaltiger Energien wie Solarstrom aufladen, könnte man guten Gewissens seine Reise durch die Lüfte antreten. Weit wird man jedoch leider nicht kommen erklärt Jens Friedrichs: „Das, was wir heute nach knapp 10 Jahren Forschung wissen, ist, das bei knapp tausend Kilometern die absolute Obergrenze dessen liegt, was man elektrisch mit Batterien fliegen können wird. Und das auch nur mit sehr wenigen Passagieren. Darüber hinaus kommen wir an physikalische Grenzen.“ Aufgrund ihrer chemischen Natur sind Batterien lediglich in der Lage, begrenzte Energiemengen zu erzeugen. Während das beim Auto kein Problem darstellt, da man es jederzeit an einer Tankstelle wieder laden und dann weiterfahren kann, begrenzt dieser Umstand die Nutzung von elektrischen Fliegern auf absolute Kurzstrecken und Flugzeuge mit unter 20 Passagieren.
Synthetisches Kerosin oder Wasserstoff?
Deutlich weiter kommt man hingegen mit synthetischem Kerosin, den sogenannten „Sustainable Aviation Fuels“ (SAF). Dies sind nachhaltig, also beispielsweise auf Biobasis hergestellte Kraftstoffe, die ähnliche Eigenschaften wie Kerosin haben, aber ohne Mineralöl auskommen. Sie lassen sich in herkömmlichen Gasturbinen verbrennen, haben ein hohes Energiepotenzial und können extrem niedrige Emissionen vorweisen. Mit den besten von ihnen könnte man lange transatlantische Strecken zurücklegen, ohne sich um CO₂ und andere Emissionen Gedanken machen zu müssen. Allerdings auch nur dann, wenn man vorher tief in die Tasche gegriffen hat, denn das ist der Haken an der Sache: Das synthetische Kerosin ist aufgrund seines aufwändigen Herstellungsverfahrens extrem teuer. Für Professor Friedrichs ist es daher keine realistische Perspektive, dass alle Flugzeuge langfristig mit SAFs betrieben werden: „Unserer Ansicht nach sollte man weitere Alternativen ermöglichen, damit Fliegen auch in Zukunft noch erschwinglich bleibt.“
Das Betreiben mittels Brennstoffzelle ist eine dieser möglichen Alternativen. Brennstoffzellen nutzen Wasserstoff als Energiequelle und wandeln diesen in einer chemischen Reaktion mithilfe von Luftsauerstoff in elektrischen Strom um. Hierbei entstehen weder CO₂ noch Stickstoffoxide, da es sich um eine sogenannte kalte Reaktion handelt. Doch auch hier wieder eine ernüchternde Erkenntnis: Das Energiepotenzial ist nicht hoch genug, um etwa Langstreckenflüge von Deutschland bis nach China zu ermöglichen. Maximal 5.000 Kilometer klimaneutrales Fliegen wird man mit Brennstoffzellen bewerkstelligen können, meint Professor Jens Friedrichs. Zudem ist das Antriebsmodell nicht komplett Emissionsfrei. Kleine Wassertropfen bleiben zurück und können sich als Wolken in der Luft ansammeln und das Klima beeinflussen. „Dieses Problem erscheint uns in der Forschung jedoch als langfristig lösbar“, erläutert er.
Umbau von Rumpf und Flügeln
Deutlich problematischer hingegen sei das Integrieren der neuen Antriebsmodelle in bisherige Flugzeugkonstruktionen: „Wenn ich in ein heutiges Flugzeug einfach eine schwere Brennstoffzelle oder Batterien einbauen würde, würde sich die Antriebsleistung massiv verringern. Die Gewichtszunahme muss daher durch Effizienzsteigerung an einer anderen Stelle kompensiert werden. Das ist die große Aufgabe, der wir uns in der Forschung stellen müssen.“
Wenn der Energieträger ausgetauscht wird, muss sich also das Flugzeug verändern. Laut Friedrichs macht man es entweder leichter – denn was man nicht in die Luft befördern muss, verlangt keine Energie – oder man verringert den aerodynamischen Widerstand, also die Reibung des Flugzeugs in der Luft. Letzteres will eines der Projekte im Exzellenzcluster durch Veränderungen am Flugzeugflügel erreichen. Eine poröse Oberfläche und eine integrierte Luftabsaugung sorgen bei dem neu entwickelten Flügelmodell für eine Verringerung der Grenzschicht und damit des Luftwiderstands. Da hierbei diverse Faktoren wie Materialbeschaffenheit, Festigkeit aber auch Konstruktion eine Rolle spielen, handelt es sich bei um ein besonders interdisziplinäres Forschungsprojekt, das für viel Furore beim Fachpublikum in bezug auf klimaneutrales Fliegen sorgte.
Ein weiteres Leuchtturmprojekt ist das Modell „Blended Wing Body“. Hier wurde der klassische Aufbau zugunsten der Aerodynamik verändert: Der Flugzeugrumpf verschmilzt praktisch mit den Flügeln und bildet eine organische Form, die mehr an einen platten Rochen als an eine klassische Flugzeugröhre erinnert. „Das spart deutlich Widerstand,“ erklärt Professor Friedrichs die Bauform, die vor allem bei Langstreckenfliegern enorme Vorteile bieten könnte. Die futuristische Form mit knapp 80 Metern Spannweite fordert jedoch nicht nur Konstrukteure und Produzenten heraus, sondern auch Flughäfen, deren bisheriger Aufbau sich an den Standardmaßen heutiger Flieger orientiert, um möglichst viele Flugzeuge nebeneinander abfertigen zu können.
Auf kurz oder lang: nachhaltige Flieger werden kommen
Die Frage, wie wir in Zukunft umweltbewusst Fliegen können, ist daher nicht nur eine Frage der Flugzeugkonstruktion, sondern auch der Landseite. Brauchen Flughäfen zum Beispiel langfristig Anschlüsse an das Wasserstoffnetz? Brauchen sie Anschlüsse an das Stromnetz, weil Flugzeuge mit Batterien fliegen oder sind eigene Photovoltaik-Parks die Lösung? „Man kann das Flughafendesign eigentlich erst dann gut machen, wenn man eine gute Vorstellung über die Flugzeuge der Zukunft hat“, meint Professor Friedrichs und lässt hierbei durchblicken, dass es noch mehrere Jahre dauern wird, bis wir als Endverbraucher nachhaltige Flugreisen antreten können. Nicht nur, weil noch viel Forschung und Anpassung für klimaneutrales Fliegen benötigt wird, sondern weil der Umstieg auch für die Airlines attraktiv genug sein muss: „Eine Airline, die sich heute ein Flugzeug kauft, möchte dieses gerne 10-15 Jahre operieren und danach verkaufen. Ein radikaler Austausch der Flotten ist daher aus rein wirtschaftlicher Sicht für Airlines nicht möglich“, erklärt Jens Friedrichs. 2035 glaubt er jedoch, werden wir bereits erste Kurzstreckenreisen mittels elektrischer oder mit Brennstoffzellen betriebenen Flugzeugen antreten können. Bis es flächendeckend, auch auf Langstrecken zu globalen Lösungen kommt, sei jedoch noch einiges zu tun.
Für mich bedeutet dies, dass ich auch in näherer Zukunft auf mein Flugverhalten achten werde. Möglichst wenig, möglichst keine Kurztrips und nur wenn es die Strecke wirklich verlangt. Doch wer weiß, vielleicht bin ich ja auch noch in 35 Jahren fit genug um noch einmal eine Langstrecken-Flugreise mit gutem Gewissen antreten zu können. An der Forschung sollte es jedenfalls nicht scheitern.