Zugegeben, der Name „Physikalisch-Technische Bundesanstalt“ klingt eher dröge. Doch die PTB in Braunschweig ist ein Ort Science-Fiction-verdächtiger Forschung. Sie ist Wächterin der Zeit, Heimat von Atomuhren, Elektronenbeschleunigern und schalldichten Räumen – und in Sachen Messkunst eine der ersten Adressen weltweit.
PTB Braunschweig
Wo die Uhren genauer gehen als anderswo
Wer die PTB besucht, steht erst einmal im Wald. Hilfsbereite Pförtner und ein Lageplan erleichtern die Orientierung auf dem einen Quadratkilometer großen Gelände in Braunschweigs Nordwesten und weisen den Weg zu einem ziegelroten Gebäude. Hier „ticken“ zwei ganz besondere Uhren. „Unsere Cäsium-Fontäneuhren zählen zu den besten Uhren der Welt“, sagt der PTB-Präsident Joachim Ullrich. Sie messen die Zeit auf 16 Stellen hinter dem Komma genau. Jeden Monat wird die Weltzeit auf sie abgestimmt.
Mit einer gängigen Uhr haben diese Zeitmesser allerdings wenig gemein. Es sind übermannshohe Edelstahlröhren, in denen Laserfelder Cäsiumatome wie Wasserfontänen in die Höhe schießen. Statt Pendel schwingen hier die Elektronen dieser Atome. Für den nötigen Anschubs sorgen Mikrowellen, wie sie ähnlich auch in den gleichnamigen Küchengeräten das Essen von gestern aufwärmen. Nur sind sie hier sehr viel schwächer.
Größtes Metrologie-Institut Europas
Die PTB ist das nationale Metrologie-Institut Deutschlands, das größte in Europa und eines der fünf größten weltweit. Gegründet wurde sie vor 126 Jahren als Physikalisch-Technische Reichsanstalt in Berlin-Charlottenburg von Hermann von Helmholtz und Werner von Siemens. Zu den Kuratoriumsmitgliedern der Anfangsjahre zählen zahlreiche prominente Köpfe, darunter Max Planck und Albert Einstein. Heute hat das Institut seinen Hauptsitz in Braunschweig, wo 1.500 seiner knapp 2.000 Mitarbeiter beschäftigt sind.
Über die Zeit zu wachen, ist zweifelsohne die prominenteste Aufgabe der PTB, aber längst nicht die einzige. Auch für andere Einheiten und Naturkonstanten entwickeln die Forscher hier immer genauere Messmethoden und Definitionskriterien. Zum Beispiel für die Masse, denn das „Urkilogramm“ in Paris zeigt seit einiger Zeit unerklärliche Gewichtsschwankungen. Schlimmstenfalls könnte der Metallklotz aus Platin und Iridium sogar gestohlen werden und wäre als Vorlage ein für allemal verschwunden. Das Alternativrezept aus Braunschweig: Die PTB-Wissenschaftler können Siliziumkugeln fertigen, die so rund und glatt sind wie sonst nichts auf der Welt. Aus Atomzahl und Volumen ermitteln sie die Masse.
Für Wirtschaft und Verbraucherschutz
Neben der Forschung zu metrologischen Grundlagen gehört auch das Kalibrieren von Messgeräten verschiedenster Hersteller zum Tagesgeschäft der PTB. Das klingt trocken, ist aber für die globale Wirtschaft und für unseren Alltag von Bedeutung. Schließlich kann nur mit verlässlichen Messungen sichergestellt werden, dass genau so viel Sprit in den Tank strömt, wie die Zapfsäule anzeigt, dass die Äpfel im Supermarkt korrekt gewogen werden, ein Medizinlabor zutreffende Blutwerte ermittelt und dass nur so viele Rußpartikel aus dem Auspuff kommen, wie die Autohersteller angeben.
Und die PTB-Wissenschaftler betreiben noch mehr gesundheitsrelevante Forschung: Sie untersuchen unter anderem die Wirkung von Handystrahlung, die Belastung durch natürliche radioaktive Strahlung und durch Töne, die so tief sind, dass man sie kaum noch hören kann. Und sie arbeiten an Messungen, die medizinische Diagnosemethoden und Therapien verbessern können, zum Beispiel an einer nebenwirkungsarmen Strahlungstherapie.
Hilfe für Entwicklungsländer
International ist das Institut gut vernetzt, und das nicht nur in Europa. Die PTB arbeitet eng mit anderen Metrologie-Instituten auf der ganzen Welt zusammen und hilft in Entwicklungs- und Schwellenländern, Infrastrukturen für genaues Messen aufzubauen. Das soll den Verbraucherschutz in diesen Ländern stärken, etwa wenn es um Messungen zur Wasserqualität geht, und den Zugang zum Weltmarkt erleichtern. Schließlich haben dort nur solche Produkte eine Chance, die messbare Qualitätskriterien erfüllen.
Für alle Aktivitäten gilt: In Sachen Präzision werden sich die Braunschweiger Metrologen vermutlich nie zufriedengeben. Schließlich geht es immer noch ein bisschen genauer. Das gilt selbst für die hochpräzisen Caesium-Fontäneuhren. So laufen an der PTB schon probeweise zwei Exemplare der nächsten Atomuhrgeneration, die mit Laserlicht statt mit Mikrowellen funktionieren. Solche Uhren könnten Ullrich zufolge noch mindestens hundertmal genauer gehen, also auf 18 Stellen hinter dem Komma genau.
Mehr als Erbsenzählerei
Die Jagd nach immer mehr Stellen hinter dem Komma mag ein bisschen nach Erbsenzählerei klingen, aber auf die Frage, wofür man die hohe Genauigkeit braucht, hat PTB-Präsident Ullrich durchaus plausible Antworten. „Ungenauigkeit sammelt sich an und zwar relativ schnell. Deshalb können wir nur mit sehr genauen Uhren auch langfristig eine hohe Genauigkeit gewährleisten“, sagt er. Zudem seien zum Beispiel Satellitenortungssysteme wie GPS oder künftig das europäische Galileo auf sehr genaue Zeitangaben angewiesen. Denn sie ermitteln Standorte über Signallaufzeiten zwischen Satellit und Erde.
Oft bringt eine höhere Präzision auch ganz neue Erkenntnisse. Als etwa in den Dreißigerjahren an der PTB erste Quarz- die Pendeluhren ablösten, stellten Forscher fest, dass sich die Erde nicht – wie lange angenommen – stets mit gleicher Geschwindigkeit, sondern immer langsamer und vor allem unregelmäßig dreht. Und in Zukunft könnten noch genauere Atomuhren klären, ob Naturkonstanten wirklich konstant sind. „Es gibt Hinweise darauf, dass dies nicht der Fall ist. Sollte sich der Verdacht erhärten, würde das unser ganzes physikalisches Gedankengebäude infrage stellen, denn viele Gesetze und Modelle basieren auf Naturkonstanten“, erklärt Ullrich.
Wer spätestens bei solchen Überlegungen gedanklich aussteigt, möge sich ruhig an den PTB-Kurator Albert Einstein halten. Ihm zufolge ist Zeit ohnehin nur relativ und Überlieferungen zufolge favorisierte er eine eher pragmatische Zeitdefinition. „Zeit ist, was man an der Uhr ablesen kann“, soll er einst gesagt haben.