Es gibt gegrillte Brennnesselblätter, auf dem offenen Feuer gebackene Crêpes mit Waldbeeren-Walnuss-Füllung und nach Steinzeitart gekochter Pfefferminztee. Die Fünftklässler der IGS Peine, üblicherweise eher Liebhaber von Chips und Cola, sind hellauf begeistert von diesem außergewöhnlichen Menü. Ort der Handlung: der Tier- und Ökogarten an der IGS. Wundersame Verwandlungen wie die eben beschriebene kommen hier häufiger vor.
Tier- und Ökogarten der IGS Peine
Praktisch fürs Leben lernen
Bei meinem Besuch im Schulgarten ist die Projektwoche „Steinzeit“ in vollem Gange. Dr. Jean-Loup Ringot ist mit seinem Steinzeitkoffer und einem Kofferraum voll Steinzeitutensilien eigens für diese Woche angereist. Der Experte für experimentelle Archäologie und promovierte Geologe zeigt den Fünftklässlern die Techniken der Steinzeit: Jagen mit Pfeil und Bogen, Getreide mit Steinen mahlen, Feuermachen, Kochen auf dem Feuer, steinzeitliche Höhlenmalerei und Schmuckherstellung.
Natürlich haben die Schüler ausreichend Gelegenheit, alles selbst auszuprobieren. Da entdecken die Lehrer in den Teenagern manches bisher unbekannte Talent, es hagelt Lob und positives Feedback.
Die Verantwortlichen im Tier- und Ökogarten kennen das Phänomen, dass sich Schüler plötzlich von einer ganz anderen Seite zeigen. „Wenn die supercoolen Jungs Lämmchen die Flasche geben, macht das etwas mit den Jugendlichen. Und die Mädchen schmelzen dahin“, berichtet die Leiterin des Tier- und Ökogartens, Betina Gube, mit einem kleinen Schmunzeln. Dass Tiere einen guten Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben, hat die Naturwissenschaftslehrerin schon früh bemerkt.
Mit Meerschweinchen im Klassenzimmer fing alles an
Als Junglehrerin brachte sie Meerschweinchen mit in die Schule – zum größten Entsetzen der gestandenen Lehrkräfte. „Wenn die Tiere in der Klasse waren, ist der Unterricht viel besser gelaufen. Die Kinder waren leise und rücksichtsvoll, denn die Meerschweinchen sind ja sehr lärmempfindlich“, erinnert sich Betina Gube. Doch die kleinen Nager wurden zum Politikum. Über ihre Anwesenheit hatte letztlich die obere Schulbehörde zu entscheiden – und sie gab Betina Gube Recht.
Als 2005 neu über die Verwendung des Grundstücks zwischen der IGS Peine und der Berufsschule entschieden werden sollte, erstellte Gube das Konzept für den Tier- und Ökogarten. Es orientierte sich am schulbiologischen Zentrum Hannover, das sie als Mitarbeiterin kennengelernt hatte. Die IGS bekam den Auftrag, den Tier- und Ökogarten umzusetzen.
Im Garten steckt viel Schweiß und Herzblut
In der Folgezeit verbringt Betina Gube ungezählte Wochen und Monate auf dem Areal, bis alles so ist, wie sie es sich vorstellt. Sie baut Häuschen für Tiere, verwandelt die vorhandenen Container in Unterrichtsräume, legt Themengärten an und kauft unter anderem Reptilien aus der Privatschatulle.
„Ursprünglich wollte ich nur spannenden Unterricht machen“, erinnert sich die Lehrerin bei meinem Besuch im Tier- und Ökogarten. Doch was ist daraus geworden!
Seit 2015 ist ihr Garten als außerschulischer Lernort anerkannt und fungiert in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen GEH als Arche-Park. In Peine leben Schaf-, Kaninchen- und Entenarten, die vom Aussterben bedroht sind.
„Respektvollen Umgang mit Tieren und Pflanzen lernen“
Auch die Mission von Betina Gube, die viel Wert auf praktischen Unterricht legt, ist gewachsen. „Ich will erreichen, dass die Kinder respektvoll mit allen Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen umgehen. Wertschätzung und Achtung sind nötig, um die Erde zu erhalten. Das erreichen wir nicht mit schönen, geschnörkelten Worten, sondern mit Taten. Es wird immer viel geredet und wenig gehandelt“, bedauert sie und meint damit ihre erwachsenen Altersgenossen.
„Bei den Kindern können wir noch etwas bewegen. Mit tut das weh, wenn ich sehe, dass Kinder die Natur nicht wertschätzen können, weil ihnen viel Basiswissen fehlt“, sagt Betina Gube. Den emotionalen Zugang zu Kindern jeglichen Alters findet sie über die Tiere.
Ein lehrreicher Ort für Menschen jeden Alters
Schon in Kindergärten ist der Tier- und Ökogarten ein beliebtes Ausflugsziel.
„Für kleine Kinder ist es spannend, mal einen Käfer in der Hand zu halten und zu erfahren, was beim Verpuppen geschieht. Oder einen Tausendfüßler anzufassen und zu schauen, wie er die vielen Beine koordiniert.“
Betina Gube und ihre Helfer halten Vertreter aller fünf Wirbeltierklassen, angefangen von Amphibien über Fische und Reptilien bis hin zu den Säugetieren und Vögeln. Wenn im Unterricht die Wirbeltiere auf dem Stundenplan stehen, kommen die Schüler in den Tier- und Ökogarten. Hier können sie alle Tiere anfassen und näher kennenlernen. „Unsere Tiere sind ohne Ausnahme zahm und gut trainiert, sie können mit Kleinkindern genauso umgehen wie mit Behinderten“, sagt die Leiterin des Gartens.
Selbermachen statt Frontalunterricht
Gleichzeitig lernen die Schüler im Tier- und Ökogarten, warum Ziege und Schaf auch als Nutztiere bezeichnet werden. Sie lernen den Unterschied zwischen Enten und Hühnern kennen, den Weg vom Korn zum Brot, sie mahlen, backen, machen aus Schlagsahne und selbstgesammelten Kräutern Kräuterbutter, säen Gemüse und legen Kartoffeln.
„Wenn es plötzlich nichts mehr im Laden gäbe, wüssten sich die Kinder nicht zu versorgen“, sagt Betina Gube. Das will sie ändern. Womit wir wieder bei Jean-Loup Ringot am steinzeitlichen Herd sind. Am Feuer liegen noch die traurigen Überreste einer Ente, die der Franzose zwischen heißen Steinen gegart hat. Einige Schüler lösen mit steinzeitlichem Esswerkzeug – den Fingern und Feuersteinmessern – Fleischstückchen von den Knochen. Die anderen warten sehnsüchtig auf die ersten Crêpes.
Um die Wartezeit zu verkürzen, legt der renommierte Steinzeitforscher einige Brennnesselblätter auf den Stein über dem Feuer. Wir dürfen die angerösteten Blätter noch heiß naschen – köstlich! Derweil holt ein Schüler heiße Steintöpfchen mit Deckeln vorsichtig vom Rand des Feuers zu Dr. Ringots steinzeitlichem Küchentisch. Darin ist die Beeren-Nuss-Füllung für die Crêpes aus selbstgemahlenem Mehl. Auch vom Crêpe darf ich probieren – eine kulinarische Offenbarung!
Die Fünftklässler verlassen den Tier- und Ökogarten nicht nur an diesem Tag um einige Fertigkeiten und Erkenntnisse reicher. Ich übrigens auch.
Ausflugstipp für die Ferien
Während allen Ferien bietet der Tier- und Ökogarten – einer von 100 zeitORTEn in der Region Braunschweig-Wolfsburg – ein abwechslungsreiches Ferienprogramm. So auch in den Osterferien. Das Programm findet sich auf der Webseite des Tier- und Ökogartens an der IGS Peine.
Tipp: Jeder erste Sonntag im Monat (Februar bis Dezember) ist Besuchersonntag. Auch hier lohnt sich ein Besuch mit der ganzen Familie!