Weithin sichtbar – der Turm der Martin-Luther-Kirche

Architektur für den wachen Verstand
Die Martin Luther-Kirche in Salzgitter

Ein markanter Turm, ein streng rechtwinkeliger Bau, Sichtbeton in seiner Reinform – die Martin Luther-Kirche in Salzgitter-Bad ist eine architektonische Besonderheit. Für Gemeindemitglieder, Besucher und Bewohner der Stadt ist sie jedoch auch eine Herausforderung.

Rundgang durch die Martin Luther-Kirche

Gemütlich und einladend, wie es gemeinhin von einem Kirchengebäude erwartet wird, erscheint sie zunächst nicht. Und das soll die Martin Luther-Kirche in Salzgitter auch gar nicht. So stellt es Ulrich Knufinke vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege in Hannover beim Architekturrundgang im Rahmen der Veranstaltungsreihe ACHTUNG modern! der Braunschweigischen Landschaft e.V. gleich klar: Die Architektur der 1960er bis 1980er Jahre, die im Braunschweiger Land eine große Zahl außergewöhnlicher Bauwerke hervorgebracht hat, sei nichts für das Gemüt, sondern etwas für den wachen Verstand.

In sechs Jahren – so lange läuft die Veranstaltungsreihe bereits – standen insgesamt 20 Objekte auf dem Programm, davon waren vier Kirchenbauten. Dieser hohe Anteil erklärt sich aus einer Phase zahlreicher Neubauten im Rahmen der Nachkriegsmoderne: Allein im Stadtgebiet von Salzgitter entstanden bis Anfang der 1970er Jahre 17 neue Kirchengebäude. Mit der weiteren Entwicklung einzelner Stadtteile in den 1960er Jahren wurden eigens Stadtteilkirchen erbaut - nicht nur als Blickpunkte in der Landschaft, sondern auch als ideelle und geistliche Zentren des jeweiligen Stadtteils. „Kaum jemand hat sich diese Bauten bisher aus architekturhistorischer Sicht näher angeschaut“, sagt Knufinke. „Dabei steckt architektonische Qualität dahinter.“ Bereits in der Entstehung der neuen Kirchengebäude, sahen sich die Architekten mit einer distanzierten Bevölkerung konfrontiert. „Die Ablehnung in Teilen der Bevölkerung war den Architekten durchaus bewusst“, berichtet Knufinke, „trotzdem haben sie ihre Entwürfe umgesetzt, denn mit der traditionellen Bauweise konnten sie sich nicht mehr identifizieren.“

Licht und Offenheit

Auch am Baustil der Martin Luther-Kirche in Salzgitter-Bad „scheiden sich die Geister“, wie Beate Köbrich, Kirchenvorstandsvorsitzende der Gemeinde Noah, zu berichten weiß. Aus ihrer persönlichen Perspektive führt sie in die Veranstaltung ein. Sie berichtet von Besuchern, die den Bau provozierend finden, zu kahl und zu kalt. Doch die Gemeinde sei „darin zuhause“ und wisse die vielen Vorteile der Architektur zu schätzen. So nimmt Köbrich mit ihrem warmen Vortrag der Kritik die Schärfe: Sie spricht von dem faszinierenden Lichtspiel, das die zahlreichen Lichtschächte hervorbringen und das manchmal während des Gottesdienstes interessante Effekte erzeugt. „Das Grau, das manche kritisieren, bekommt neue Konturen und Stärken.“

„Und“, so schwärmt sie weiter, „man kann hinausschauen in die Umwelt, in die Alltagswelt. Ich sehe darin einen Spiegel unserer Gemeindearbeit. Die Kirche ist mitten im Geschehen.“ Auch die freie Bestuhlung habe ihre Vorteile. „So können wir in der Gestaltung variieren, und der Raum kommt immer wieder anders zur Geltung.“ Die offene Innenraumgestaltung lade zu neuen Gottesdienstformaten und anderen Veranstaltungen ein und sichere so die Nutzung des Gotteshauses als Begegnungsstätte auch für die weitere Zukunft.

Der Innenraum der Kirche Martina Zingler
Offene Architektur mit freier Bestuhlung

Produktiver Kirchenarchitekt

Entworfen und umgesetzt hat dieses außergewöhnliche Bauwerk der Braunschweiger Architekt Ulrich Hausmann, der in dieser Zeit noch etliche weitere Kirchen realisieren konnte. Beim heutigen Architekturrundgang ist Hausmann anwesend, betrachtet wohlwollend und noch immer interessiert sein Werk, hält sich aber weitestgehend im Hintergrund. Denkmalpfleger Knufinke übernimmt es, die Besucher auf die vielen spannenden Details des Baus hinzuweisen.

Zum Beispiel lassen sich viele architektonische Besonderheiten der Nachkriegsmoderne noch sehr gut nachvollziehen: Erbaut zwischen 1967 und 1971 gehört die Martin Luther-Kirche zu den besterhaltenen Sichtbeton-Kirchen in der Region. Originale Oberflächen und Materialien sind hier weitgehend unverändert und ohne störende Anstriche zu sehen. Rauer Beton, klares Glas und warmes Holz verbinden sich zu einer homogenen, offenen Bauskulptur.

Gerade der Betonguss, der eine hohe handwerkliche Fähigkeit erfordert, und hier offenbar auch erfahren hat, erlaubt dem Architekten ins Detail zu gehen und das Gebäude wie eine Skulptur zu formen. Knufinke fordert die Besucher auf, Oberflächen und Verläufe in der Architektur zu beobachten. Tatsächlich finden wir keine Überschneidungen, die Betonbalken laufen an anderen Strukturen vorbei oder darauf zu, wirken dann wie angeklebt. Fast entstehen aus den einfachen Formen des Betongusses Reliefs, die wiederum ein spannungsreiches Licht- und Schattenspiel innen und außen zulassen. Die tatsächliche Schwere des Betons ist kaum wahrnehmbar, die Balken scheinen nirgends aufliegen zu müssen. Auch die Lichtöffnungen wirken nicht wie herkömmliche Fenster mit Rahmen, sondern machen den Eindruck natürlicher Durchblicke.

Lichte Klarheit

Und so erschließt sich mir der Charme des Gebäudes nach und nach. Das Nachmittagslicht trägt seinen Teil dazu bei. Sanft fällt es durch die vielen Lichtöffnungen und Oberlichter, wirft geometrische Formen auf den Holzfußboden und lässt ihn warm leuchten. Es ist hell in dieser Kirche, fällt mir auf. Nicht wie in altehrwürdigen Kirchengebäuden mit ihren dicken Mauern und schmalen, hohen Fenstern, in denen es irgendwie immer dämmrig scheint. Es herrscht eine wohltuende Klarheit in diesem Bau, die leicht zugänglich ist. Auch den anderen Besuchern scheint es ähnlich zu gehen. Wir bleiben im Anschluss an den Rundgang noch eine Weile im Innern der Kirche stehen, finden weitere Details in diesem doch so schlichten Bau und sprechen auch über andere Baudenkmale und solche, die es eigentlich werden müssten.

Die Martin Luther-Kirche, ein gewohnter, vielleicht sogar ein zu gewohnter Anblick in Salzgitter-Bad, hat einen Reiz, den auch ich bisher übersehen habe. Vier bedeutende Objekte hat die Veranstaltungsreihe ACHTUNG – modern! der Braunschweigischen Landschaft in diesem Jahr für Architekturinteressierte erschlossen. In der nächsten Auflage wird es hoffentlich noch mehr sehenswerte und vielleicht unterschätzte Gebäude zu entdecken geben.

 

Eine moderne Mischung Martina Zingler
Die Mischung macht’s: Leicht anmutender Beton, viel natürliches Licht und warmes Holz