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Von Generation zu Generation –
die „Goldschmiede Rademacher“ in Schöningen

Auf der Suche nach einem Geschenk, durchstöbere ich die Geschäfte der Schöninger Innenstadt und verweile vor der Schaufensterauslage der „Goldschmiede Rademacher“. Seit 100 Jahren betreibt die Familie hier bereits ihr Geschäft! Neugierig geworden auf diese Familiengeschichte und deren Handwerkskunst, besuche ich die Goldschmiede, um mehr zu erfahren.

Eine tatkräftige junge Dame

„Meine Großmutter war nach dem ersten Weltkrieg eine junge Witwe. Ihr Vermögen hat sie in dieses Grundstück investiert“, berichtet mir Dorit Grimm, die jetzige Inhaberin, von den Anfängen des Geschäfts. Im Oktober des Jahres 1918 eröffnete ihre Großmutter ein Gemischtwarengeschäft in den Räumen des hübschen Fachwerkhauses in der Stadtmitte von Schöningen. Dorit Grimm zeigt mir eine über 100-jährige Fotografie ihrer Großmutter, auf der mir eine junge Frau selbstbewusst entgegenblickt. „Sie war eine echte Dame“, sagt sie stolz. Und das sicherlich zurecht! Als Frau hatte es ihre Großmutter bestimmt nicht leicht in der Geschäftswelt des frühen 20. Jahrhunderts.

Emil Rademacher

Aller Anfang ist schwer

In zweiter Ehe heiratete Dorit Grimms Großmutter den Uhrmachermeister Rademacher. Als Meisterwerkstatt eröffnete sich dem Geschäft eine solidere Existenz. Neben dem Vertrieb von Gemischtwaren, konnten nun auch Schmuck und Uhren verkauft und repariert werden. Nach sechs Jahren Ehe verstarb der Großvater von Dorit Grimm an einer Lungenentzündung. Über den Tod hinaus hatten die gemeinsamen Aufbaujahre das Paar zusammengeschweißt. Die Großmutter heiratete nie wieder. Auf sich allein gestellt, brachte sie ihre drei Töchter durch die Weltwirtschafts-krise. Kaum war das geschafft, musste sie mit dem zweiten Weltkrieg die nächste Herausforderung meistern.

 

Jeder Topf findet seinen Deckel

Die älteste Tochter der Rademachers, Dorit Grimms Mutter, begegnete als junge Frau ebenfalls „ihrem Uhrmachermeister“. „Mein Vater kam in das Geschäft und blieb für immer“, schmunzelt Dorit Grimm. Ihre Mutter war für die Betriebsführung zuständig, der Vater für die Uhrmacherwerkstatt. „Meine Eltern bezogen mich schon als Kind in ihre Arbeit mit ein“, erzählt sie. Aber Schmuck war ihre Passion. So eignete sie sich das Goldschmiedehandwerk an. „Beim Goldschmieden werden die Finger richtig beansprucht. Das muss man schon wollen“, sagt sie. Und sie wollte mehr davon! Um ihre Kunstfertigkeit zu vervollkommnen, zog es sie in die weite Welt hinaus. „Ich liebe meine Arbeit“, vertraut sie mir an.

Neues wird mit Altem verbunden

Ein wesentlicher Bestandteil des Goldschmiedehandwerkes ist die kreative Ideenfindung. Dorit Grimm beobachtet gern Menschen. Das Wahrnehmen von kleinen alltäglichen Dingen ist eine Inspirationsquelle für ihre Entwürfe, die sie dann mit der Hand zeichnet. In großen Werkstätten wird das Design heutzutage mit einem 3D-Grafikprogramm in Szene gesetzt. Vieles im Gold-schmiedehandwerk befindet sich gerade im Umbruch. Feile, Säge und Bohrer sind zwar weiterhin im Einsatz, aber der Gebrauch von Lasertechnologie oder das Schweißen im Mikrometerbereich wird immer wichtiger. Auszubildende müssen neben Kreativität auch Geduld, zeichnerisches Talent, Fingerspitzengefühl und räumliches Vorstellungsvermögen mitbringen.

 

Ideen brauchen Muße

Ein junger Mann betritt das Geschäft. Ein Geschenk für seine Auserwählte soll es werden. Etwas ganz Individuelles. Dorit Grimm hört aufmerksam zu, skizziert einen Entwurf, bespricht die genaue Größe, die genaue Form, fragt immer wieder nach. Dieses Beratungsgespräch wirkt auf mich wie reine Detektivarbeit. Neben speziellen Einzelanfertigungen bietet die Goldschmiedin, wie einst ihre Großmutter, ein facettenreiches Warensortiment an. Von elegant bis markant hätte ich die Qual der Wahl. Neben Schmuck, Uhren und kleinen süßen Accessoires entdecke ich ein Schachspiel mit silbernen Spielfiguren. Eine Goldschmiedearbeit! Und mir wird augenblicklich klar: Der Reiz des Goldschmiedehandwerkes liegt in dieser Vielfältigkeit.

Das einzig Beständige ist der Wandel

Dorit Grimm heiratete keinen Uhrmachermeister, dafür aber „ihren Goldschmiedemeister“ und bekam eine Tochter. „In meiner Familie wurden seit 100 Jahren ausschließlich Mädchen geboren“, sinniert sie. Viele Jahre lebte Dorit Grimm mit ihrer Familie in Berlin und war für die dortige Goldschmiede-Innung tätig. Als ihr Vater verstarb und ihre Mutter erkrankte, pendelte sie zwischen den zwei Städten. Sie musste sich entscheiden. Zusammen mit ihrer Familie zog sie nach Schöningen und führte das Geschäft als „Goldschmiede Rademacher“ weiter. Somit wuchs ihre Tochter wie selbstverständlich in dieses Handwerk hinein und wurde auch Goldschmiedin. Ob sie das Geschäft einmal weiterführt? „Das liegt ganz bei ihr“, meint Dorit Grimm.