Es ging schnell, doch es kann noch schneller gehen: Mit der Entwicklung des Corona-Medikaments COR-101 war und ist Braunschweig aufgrund seiner exzellenten Biotech-Netzwerke ganz vorn mit dabei. Doch rechtliche, logistische und produktionstechnische Unklarheiten verzögerten die Entwicklung mehr als nötig. Um bei der nächsten Pandemie sofort abgestimmt und passgenau reagieren zu können, rief Prof. Stefan Dübel von der TU Braunschweig mit anderen Partnern das RAPID-Netzwerk ins Leben. Im Interview spricht er über zehn Milliarden Schlüssel, eine Polizei-Eskorte und warnt vor den nächsten Pandemien.
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Biotech und weltweite Kooperationen:
Prof. Stefan Dübel von der TU Braunschweig
Herr Professor Dübel, wann können wir mit dem Markteintritt von COR-101 rechnen?
Das kann ich nicht genau sagen, es hängt jetzt an Regularien, Zertifikaten für klinische Studien, Versicherungen und so weiter. Da sind wir als Wissenschaftler raus.
Also ist die Phase 1 jetzt abgeschlossen.
Genau. Und die Phase 2 abzuschließen, kann sehr viel schneller gehen. Bei Phase1 ist es so, dass immer erst ein Patient mit einer ganz niedrigen Dosis behandelt wird. Und dann wartet man lange, bevor der nächste behandelt wird. Und dann wartet man wieder lange, ob irgendwelche unerwünschten Reaktionen auftreten. Das war dann sozusagen die erste Kohorte und dann erhöht man die Dosis bei einer gleichzeitig größeren Zahl der Patienten.
Von Antikörper-Medikamenten anderer Hersteller gegen COVID-19 war in den Medien ab und zu mal die Rede. Macht die umfangreiche Antikörper-Bibliothek in Braunschweig einen Unterschied in der Wirkung?
Wir wissen, dass die Diversität, also die Größe dieser Bibliothek, linear zu der besten Bindungsstärke eines Antikörpers auf der Virus-Oberfläche ist. Das heißt konkret: Je mehr Auswahlmöglichkeiten für einen Binder ich habe, desto höher ist die Chance, einen noch besseren zu finden. Sie können das hiermit vergleichen: Wenn Sie eine Tür aufmachen wollen und Zehn Milliarden Schlüssel haben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch einer passt. Zehn Milliarden sind natürlich Top of the World, aber diese Größe braucht man, um richtig gute Antikörper zu bekommen.
Welche Rolle spielte dabei die Kooperation in dem Braunschweiger Forschungsumfeld?
Eine ganz entscheidende. Überwiegend waren es sogar persönliche Bekanntschaften und Netzwerke: Luka Cicin-Sain, der im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) die Abteilung Virale Immunolgie leitet, hält bei mir im Institut regelmäßig eine Vorlesung. Und ein anderer Kollege, den ich bei der Erlangung seiner Honorarprofessur unterstützt habe, leitet in Braunschweig das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM), was die Herstellung eines solchen Proteins nach Arzneimittelstandards in kürzester Zeit veranlassen konnte. Die beiden konnte ich am Sonntagabend anrufen und am Montag konnten wir anfangen. Also dieses spezielle Netzwerk in Braunschweig war ganz essenziell für die Erfolg der Geschichte.
Und trotzdem haben Sie die niedersächsische Initiative RAPID gegründet. Schon der Name sagt: Es ging Ihnen noch nicht schnell genug.
Wir haben gemerkt, dass der komplette Produktionsprozess noch schneller hätte gehen können, wenn wir ein noch besseres Netzwerk gehabt hätten. Auf wissenschaftlicher Ebene hat das schon sehr gut geklappt, aber wir hätten Wochen sparen können, wenn wir bereits im Vorfeld bestimmte Dinge geregelt hätten: Etwa die Genehmigungen für den Austausch von Proben, Behördenentscheidungen und die Verfügbarkeit von Produktionsmaterialien für die Medikamentenproduktion. Solche Dinge könnte man im Rahmen eines Katastrophenplans festlegen.
Katastrophenplan! Das hört sich aber dramatisch an...
Auch wenn man es jetzt nicht hören will: Die nächste Pandemie in Form eines zoonotischen Virus wird kommen. Man muss sich darauf vorbereiten. In unserer eng vernetzten Welt ist es anders als noch vor 20, 30 Jahren. Wissenschaftler wissen das. Es interessiert nur keinen. Oder anders: Man will das Wort Pandemie heute nicht mehr hören. Dieser psychologische Mechanismus hindert uns daran, auch größere Mittel von der Politik zu bekommen. Deshalb war und ist es so wichtig, dass sich Leute aus verschiedenen Behörden und Ministerien mit Forschungsanstalten, Firmen und Universitäten zusammen setzen und sich besser vernetzen. Denn wir haben zwar unglaublich viele Möglichkeiten in Niedersachsen, auch an Produktionsstätten, aber es ist nicht organisiert und überall bekannt.
Und hat das erste RAPID-Meeting etwas gebracht?
Unbedingt! Ich glaube, es haben alle Beteilgten richtig viel gelernt. Der oberste Katastrophenschützer, Herr Schallhorn aus dem Innenministerium, sagte mir etwa, dass es gar kein Problem gewesen wäre, unsere Proben ins Land zu bekommen. "Das hätten wir schnell lösen können: Wir wären einfach mit einem Polizeiauto vorweg gefahren", sagte er mir. Das haben wir eben nicht gewusst und mussten dann wochenlang warten, weil es über die uns bekannten Kanäle nicht ging.
Auch wenn die Wissenschaftskooperation im Bereich Biotech in der Region vorbildlich erscheint: Ist Kooperation bei der Entwicklung von Medikamenten ganz allgemein gang und gäbe?
Absolut! Sehr viele unserer Publikationen und Ergebnisse sind Kooperationen mit Laboren in Deutschland oder weltweit. Wenn ein anderes Labor etwa eine Forschungsmethodik anwenden kann, die wir hier nicht haben, rufen wir dort an und fragen, ob sie diesen Job für uns übernehmen können. Dafür kommen sie anschließend mit aufs Paper, also die wissenschaftliche Veröffentlichung des Ergebnisses. Das ist dann auch für die Drittmitteleinwerbung von Vorteil. In dieser Form arbeiten wir hervorragend auch etwa mit dem Karolinska Institutet in Schweden zusammen, aber auch mit Kollegen aus Argentinien, aus afrikanischen Ländern und aus den USA sowieso.
Ist man in der Wissenschaft mit internationaler Kooperation weiter als in der Wirtschaft?
Ich glaube ja, denn Wissenschaft ist nicht per se getrieben von der Erfordernis, Gewinn zu erzielen. Der Wert, den ich als Wissenschaftler durch Kooperation bekomme, ist ein besseres und schnelleres Ergebnis. Und natürlich eine entsprechende Publikation.
Und die Erkenntnis!
Ja, aber die monetären Gründe sind nicht zu unterschätzen. Denn um Geld zu bekommen, müssen sie eine lange Liste an guten Arbeiten in hoch angesehenen Journals publiziert haben. Damit man damit wieder Drittmittel einwerben und überhaupt auf dem Niveau weiterarbeiten kann. Denn wir haben ja ein System, in dem die Grundfinanzierung der Universitäten schon längst nicht mehr ausreicht. Den einzelnen Forscher, der seiner Theorie lange nachgehen konnte, wie etwa Darwin oder auch Einstein, den gibt es in der Biologie schon seit 50 Jahren nicht mehr.